Er ist gerade einmal dreißig Jahre alt und darf sich bereits in die Riege der berühmten Gastdesigner von H&M einreihen: Alexander Wang (Bild unten) bei der Präsentation der Kollektion in New York, links eine Impression vom Laufsteg.

Foto: H&M

Alexander Wangs Kollektion wird ab 6. November in 250 Stores weltweit sowie online erhältlich sein.

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Ein rarer Moment: Wenn H&M anlässlich der neuesten Designer-Kooperation in New York zur Party mit Alexander Wang lädt, steigen die Moderedakteure ganz handzahm gemeinsam in einen Reisebus. Was am frühen Abend wie ein Schulausflug in Downtown Manhattan beginnt, endet in Washington Heights in der Abenddämmerung vor dem Armory on the Hudson.

Eine Leichtathletik-Arena: von der Fotowand bis zum Sport-Parcours aufgerüstet für das nahezu olympische Großereignis. Rund tausend Gäste, darunter viele New Yorker, Natasha Poly, Karlie Kloss, Joan Smalls, Constanze Jablonsky, die ganze elitäre Modelgarde ist mit dabei. Irgendwie ist das wie Modewoche, nur noch ein bisschen mehr: Modenschau, Pre-Shopping-Event, Überraschungsauftritt von Missy Elliott. Spätestens um Mitternacht ist der Zauber für die Auswärtigen allerdings schon wieder vorbei. Dann fährt der letzte Shuttle gen SoHo.

Der Event passt zum durchgetakteten Leben des Alexander Wang. Der smarte Dreißigjährige sieht zwar noch immer aus wie ein Clubkid in seinen Zwanzigern, aus seiner Mode aber hat er längst eine globale Marke gemacht. Der einstige Partytiger bleibt mittlerweile unter der Woche zu Hause. Er hat nämlich viel zu viel zu tun. Er hat Mode schon immer als Geschäft verstanden.

Image ist nicht alles

Wangs kostbarstes Kapital: das lässige Image. Seine Mode: inspiriert von amerikanischer Streetwear. Viel Schwarz-Weiß, rasante Schnitte, klare Ansagen – wie gemacht für Downtown Manhattan. Von Anfang an schart Wang angesagte schlaksige Models in engen schwarzen Skinnys, großen weißen Shirts und Lederjacken um sich. Und macht die Modewelt verstehen, dass er diesen "Model off duty"-Look miterfunden hat.

Die Kollektion, die Wang jetzt für H&M entwickelt hat, ist mit dem ohne weiteres vereinbar. Verschlungene Sport-Bras, weite, gecroppte Sweater, wasserabweisende Windbreaker, gelaserte Strickware mit transparenten Sichtfenstern, großzügig geschnittene Parkas für Männer. Das alles passt weniger ins Fitnessstudio als auf die Straße und in den Club. Oder gleich auf die Bühne. Missy Elliott ließ mit Alexander-Wang-Schriftzug auf der Mütze und in einer Lederhose immerhin die Bühne beben – dabei hatten viele doch fix mit Rihanna gerechnet.

Für solche wohldosierten Überraschungsmomente sorgt Wang immer wieder. Er designt eine Frauen- wie eine Männerlinie, außerdem Accessoires und die günstigere Linie T by Alexander Wang mit dem Schwerpunkt auf Jersey. So ist das Unternehmen Alexander Wang in den letzten drei Jahren jährlich um etwa 20 Prozent gewachsen, hatte 2013 Einkünfte von über 100 Millionen Dollar. 2015 wird in London der erste freistehende europäische und größte Shop weltweit eröffnet.

Nebenbei verantwortet Alexander Wang seit eineinhalb Jahren in Paris das Design des Modehauses Balenciaga, das zum Luxuskonzern Kering gehört. Erstmals arbeitet er sich dort an einer historischen Mode-DNA ab. Und switcht zwischen seinem Tribeca-Apartment und einem Fünfsterne-Hotel im 16. Pariser Arrondissement. François-Henri Pinault, Oberhaupt von Kering, erklärte erst vor wenigen Wochen, Wang sei kommendes Jahr bereits von vorne bis hinten durchgeplant. In diesem Jahr hatte er genau eine Woche Urlaub. Die hat er bei seiner Familie in San Francisco verbracht. Wie ist das alles mit gerade einmal dreißig miteinander vereinbar?

Modernes Familienbusiness

"Seinem Smartphone" verdanke er, dass die tägliche Organisation so geschmiert laufe, kichert Alexander Wang während der H&M-Pressekonferenz in einer Turnhalle in Soho. Arbeitsanweisungen gebe er per Mail sofort an seine Mitarbeiter weiter. Das ist natürlich tiefgestapelt. Neben seinen Teams in New York und Paris (und den letzten neun Monaten einem H&M-Team in Stockholm), wird Wang als Kopf eines modernen Familienbusiness seit seinen Anfängen von seiner Familie unterstützt.

Sie hat sein Talent früh erkannt und zu fördern gewusst. Was ihren Zusammenhalt angeht, ist der Wang-Clan eine typische asiatische Familie, auf die sich Wang blindlings verlassen kann. Neben seinem Bruder Dennis, der die Finanzen in den Händen hält, sind hinter den Kulissen die Frauen fester Bestandteil des seit Jahren expandierenden Familienunternehmens.

Seine Mutter Ying, die sich vor Jahrzehnten von der Tellerwäscherin zur Unternehmerin emporgehangelt hat, habe ihm vorgelebt, für das zu kämpfen, woran man glaube, erklärte Alexander Wang gegenüber WWD. Heute tut er es ihr nach, sie zieht im Hintergrund die Fäden. Schwägerin Aimie, die vor über zehn Jahren mit dem 19-jährigen Alexander die ersten Cashmere-Sweater produzierte, ist CEO des Unternehmens.

Nicht zu vergessen: Postergirl Aila. Der kleine Dreikäsehoch, Nichte des Designers, trägt zu jeder Show die Miniversion dessen, was Alexander Wang gerade gut findet. Fast immer mit dabei: Nike-Sneaker, Sonnenbrille, Handtasche. Wenn es nach Wang geht, wird das Postergirl auch einmal ins Familien-Business einsteigen – wenn es das nicht schon längst ist: Die Magazine sind begeistert von Aila.

Wang soll das recht sein. Sein Vorbild: Das Mode-Imperium des Ralph Lauren. Schon 2011 hatte er erklärt, was Erfolg für ihn bedeute: Dass es mit dem Unternehmen weitergehe, auch wenn er mal nicht da sei.

Anfänge in San Francisco

Aufgewachsen ist Alexander Wang mit zwei älteren Geschwistern in San Francisco. Während seine Eltern des Business wegen zurück nach Schanghai gehen, besucht Alexander Wang zwei Jahre lang die Parsons Design School in New York. Die Ausbildung war zu wenig herausfordernd für den energiegeladenen Wang. Er macht zwischendurch nicht nur bei Designern wie Marc Jacobs und Derek Lam Praktikas, sondern schaut sich auch die Redaktionsarbeit bei Vogue und Teen Vogue an. Mit 19 gründet er 2004 mit seiner Schwägerin sein eigenes Label. Und macht mit seinen Cashmere-Sweatern, auf deren Rücken Bilder seiner Freundinnen abgebildet sind, die New Yorker Modeszene auf sich aufmerksam.

In den Jahren darauf geht es Schlag auf Schlag: Mit 23 schickt er die erste Ready-to-wear-Kollektion über den Laufsteg, 2008 gewinnt Wang mit dem CFDA / Vogue Fashion Fund Award so etwas wie den Mode-Oscar. Das bedeutet nicht nur 200.000 Dollar mehr in der Tasche, sondern auch nützliche Kontakte. Und wieder halten ihm die Frauen Händchen: CFDA-Präsidentin Diane Von Furstenberg und Anna Wintour lassen ihren Schützling zu einem der wichtigsten Designer der USA werden.

In einer Reihe mit Versace, Marni & Margiela

Bei H&M steht Alexander Wang jetzt in einer Reihe mit Versace, Marni oder Margiela. Für einen wie ihn ein weiterer Schritt in die richtige Richtung. Der Dreißigjährige ist kein Mann der großen Umwege. Und er setzt mustergültig um, was im Modebusiness gefragt ist. Wang will im Gespräch sein und nimmt dafür auch Risiken in Kauf. Vor einigen Monaten erst verlegte er seine Show an die "Peripherie" nach Brooklyn.

Auch mit seiner Party in Washington Heights, fernab der Luxus-Designerläden in Soho, beweist Alexander Wang Beweglichkeit. Und mit Missy Elliott einen echten Glücksgriff. Irgendwann tanzt sogar Alexander Wang auf der Bühne, unten werfen Karlie, Joan und die anderen ihre langen Beine aus. Missy Elliott bringt die Menge dazu, ihre Handys aus den Händen zu legen. Dazu eine Runde Work It und die Arme in die Höhe. Für einige Momente spielen die Smartphones keine Rolle, für einige Momente ist die Wang-Olympiade ganz weit weg. (Anne Feldkamp, Rondo, DER STANDARD, 24.10.2014)