Pascal Teixeira da Silva, Frankreichs Botschafter in Österreich.

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Ob im Kampf gegen Jihadisten im Irak oder in Nordafrika: Frankreich ist derzeit führend an mehreren internationalen Militäroperationen beteiligt. Das Land wolle dennoch nicht der Polizist der Europäer sein, sagt der neue französische Botschafter in Wien, Pascal Teixeira da Silva, im Interview mit derStandard.at. Das Assad-Regime in Syrien sieht er nicht als legitimen Verbündeten im Kampf gegen die radikalislamische Miliz "Islamischer Staat" (IS), die Lösung des Konflikts müsse vielmehr politischer Natur sein.

derStandard.at: Während wir hier sprechen, bereiten sich amerikanische und arabische, aber auch französische Piloten darauf vor, Stellungen der IS-Miliz im Irak anzugreifen. Nach mehr als drei Jahren Bürgerkrieg und 160.000 Toten stellen sich viele Menschen die Frage: warum erst jetzt?

Teixeira da Silva: Für uns handelt es sich um einen Gesamtkampf gegen den Terrorismus. Den gibt es im Irak und in Syrien, aber auch im Sahel und in Europa. Natürlich sind die jeweiligen Situationen unterschiedlich, aber es handelt sich um einen Kampf. Im Irak haben wir die Entscheidung getroffen, der irakischen Regierung und der kurdischen Regionalregierung zu helfen, weil es sich um eine Bedrohung der Souveränität und Integrität des Irak, aber auch der Menschenrechte handelt. Zunächst haben wir Waffen und militärische Ausrüstung an die Kurden mit der Zustimmung der irakischen Regierung geliefert, dann haben wir aber auch mit Angriffen geholfen. Wir zielen auf eine Änderung des Kräfteverhältnisses ab, damit die irakischen und kurdischen Streitkräfte eine stärkere Position erlangen. Diese militärische Operation ist aber nur ein Teil einer Gesamtstrategie, um gegen die IS zu kämpfen. Die Politik besteht darin, dass man eine politische Lösung im Irak findet.

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derStandard.at: Viele, darunter auch erfahrene Militärexperten, meinen aber, dass ein Kampfeinsatz ohne Bodentruppen wenig erfolgversprechend ist. Sind Bodentruppen auch für Frankreich eine Option?

Teixeira da Silva: Es gibt Bodentruppen. Das sind die irakischen beziehungsweise kurdischen Truppen. Die Hauptverantwortung, diesen Kampf auf dem Boden zu führen, liegt bei den Irakern und den Kurden im Irak, wir helfen durch Luftunterstützung. Das machen auch die anderen westlichen und arabischen Länder. Die IS kämpft gegen Kurden, Jesiden und Schiiten. Aber der Westen gehört auch zu den Feinden, weil westliche Länder in ihren Augen die Ungläubigen und die Kreuzritter sind. Wenn westliche Truppen in ein muslimisches Land ziehen, verstärkt das das Narrativ und auch die Motivation der Jihadisten. Das wäre ein zusätzliches Argument für die jihadistische Propaganda. Man sollte sehr vorsichtig sein, diesen Kampf nicht schwieriger zu machen. Das hat man schon im Irak in den Jahren nach 2006 festgestellt, als dort Al-Kaida sehr aktiv war. Was Frankreich angelangt, haben wir schon andere Interventionen im Sahel. Ich glaube, dass es für uns sehr schwierig wäre, selbst wenn wir es wollten.

derStandard.at: Aber sind nicht gerade die irakischen Sicherheitskräfte, die "schiitisiert" wurden, ein Grund dafür, dass sich viele irakische Sunniten den Extremisten zugewandt haben?

Teixeira da Silva: Auf politischer Ebene haben die Schiiten eine gewichtige Rolle gespielt. Im Irak ist das, was auch in anderen Ländern geschehen ist, passiert, nämlich das Prinzip "The winner takes it all". Besonders dann, wenn eine Mehrheit viele Jahre lang nicht an der Macht beteiligt wird, zeigt dieser Teil der Bevölkerung eine Art revanchistisches Verhalten. Demokratie beruht auf dem Gesetz der Mehrheit, aber das heißt nicht, dass die Minderheit alles verliert und nicht an der Macht beteiligt sein kann. Das muss man korrigieren. Diese neue Regierung, die im September im Irak gebildet wurde, ist ein erster Schritt. Aber es ist eine riesige Herausforderung, dass man eine neue politische Zusammenarbeit findet. Das ist die Voraussetzung für eine nachhaltige und dauerhafte Lösung. Die amerikanische Verwaltung hat die Strukturen, insbesondere die Sicherheitsstrukturen des früheren Regimes aufgelöst. Das war ein Fehler. Es gab einen Staat im Irak, es gab staatliche Strukturen. Das hat man vernichtet und damit wirklich die Aufgaben eines funktionierenden Irak erschwert. Es ist widersprüchlich und erstaunlich, dass die früheren Kader des Saddam-Hussein-Regimes, das ein laizistisches Regime war, jetzt Kader von IS geworden sind. Ideologisch stimmt das nicht, aber diese Leute – die Generäle und die Verantwortlichen der Polizei – waren sehr frustriert. Man hat sie links liegengelassen, und als Sunniten fühlten sie sich zurückgewiesen.

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derStandard.at: Frankreich hat dem Assad-Regime in Syrien gegenüber immer eine sehr kritische Haltung eingenommen. Besteht nicht die Gefahr, dass man durch die jetzigen Luftschläge gegen die IS das Assad-Regime stärkt?

Teixeira da Silva: Leider hat man in Syrien viel Zeit verloren und Gelegenheiten verpasst. Man hätte mehr zugunsten der Nationalen Syrischen Koalition machen können. Vergangenes Jahr hat Frankreich die Initiative ergreifen wollen, aber wir konnten nicht alleine handeln. Und wir wissen, dass die syrischen Streitkräfte von Bashar al-Assad die jihadistischen Gruppen verschont haben und ihre Angriffe auf die moderaten Kräfte konzentriert haben. Sie haben das gemacht, damit es keine dritte Lösung gibt. Damit die arabischen Staaten und der Westen eine unmögliche Wahl haben: entweder Bashar al-Assad oder die Terroristen von der IS. Wir wollen aber nicht gezwungen werden, zwischen beiden auswählen zu müssen. Wir unterstützen die Kräfte der Nationalen Syrischen Koalition, die leider schwächer sind als vor zwei Jahren. Wir haben auch Waffen und Ausrüstung an die Freie Syrische Armee geliefert und tragen zur Ausbildung der Nationalen Syrischen Koalition bei. Wir glauben nicht, dass Bashar al-Assad ein legitimer Verbündeter gegen die IS sein kann. Und wir hoffen, dass auch andere Länder diesen dritten Weg unterstützen werden, weil ein Unrecht das andere nicht aufhebt.

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derStandard.at: In Libyen war Frankreich führend an der militärischen Intervention beteiligt. Nach dem Sturz Gaddafis ist das Land jedoch im Chaos versunken. Ist das nicht ein abschreckendes Beispiel für ausländische Interventionen?

Teixeira da Silva: Eine Intervention ist immer riskant, aber es gibt Gründe dafür. Man darf nicht übersehen, was damals in Libyen passiert ist und warum wir diese Entscheidung getroffen haben. Gaddafi war entschlossen, alles zu tun, um seine Macht zu erhalten und die Opposition zu vernichten. Es standen hunderttausende Leben in Benghazi und Misrata auf dem Spiel. Wenn es eine neue Macht gibt, ist es schwierig vorherzusehen, was herauskommt. Möglicherweise haben wir den Mangel jeglicher staatlicher Strukturen unterschätzt. Gaddafi hatte seine eigene Art, das Land zu regieren, einen Stamm gegen den anderen auszuspielen und keinen Staat im eigentlichen Sinn zu schaffen. Das ist auch der Grund, warum die Situation so schwierig ist. Das nutzen Extremisten natürlich für sich aus. Hinzu kommt, dass die Grenzen in der Sahel-Zone sehr schwer zu kontrollieren sind. Aber wie im Irak ist auch in Libyen die Lösung politisch. Und da liegt es an den Libyern – wir werden nicht eine weitere militärische Intervention starten.

derStandard.at: Mit der Anti-Terror-Operation Barkhane ist Frankreich in der Sahel-Zone mit rund 3.000 Soldaten bereits sehr engagiert. Auffallend ist, dass, wenn es um wirtschaftliche Unterstützung und Entwicklungszusammenarbeit geht, die EU auch dort durchaus vertreten ist. Sobald es aber um Kampfverbände vor Ort geht, steht Frankreich derzeit ziemlich alleine da. Fühlen sie sich von den europäischen Partnern manchmal allein gelassen?

Teixeira da Silva: Wir sind nicht alleine, sondern wir sind die Ersten. Wir haben sehr enge historische, kulturelle und menschliche Verbindungen zu diesen Ländern. Deswegen haben wir auch eine Verantwortung. Darüber hinaus betrifft die Ausdehnung des Terrorismus in diesen Ländern auch uns. Es gibt Geiselnahmen, es gibt Terroranschläge auf französische Ziele, aber auch Jihadisten, die aus Frankreich kommen und wieder zurückkehren. Wir haben eine Tradition bei militärischen Interventionen – unsere Streitkräfte haben Erfahrung. Das ist eine Kompetenz, die wenige Länder haben. Weil wir aber nicht alles Jahr für Jahr machen können, brauchen wir eine zweite Phase. Das heißt, die Verstärkung und Ausbildung der lokalen Streitkräfte. Und das ist eine europäische Mission – das kann die EU machen, das ist leichter. Wir können diese Last nicht alleine tragen. Wir haben die Kapazität, friedensstiftende Missionen durchzuführen, aber dann sind unsere europäischen Partner gefragt. Je mehr Länder mitmachen wollen, desto besser. Da stellt sich in Europa aber die Frage der geteilten Visionen von Bedrohungen und der Aufrechterhaltung der militärischen Kapazitäten. Man sagte zum Beispiel von den Amerikanern, sie seien der Polizist der Welt und für die Sicherheit der Welt verantwortlich. Sie sind aber nicht mehr in der Lage, all das zu leisten. Frankreich wünscht sich nicht, der Polizist der Europäer zu sein, also verantwortlich für militärische Operationen außerhalb Europas zu sein. Das ist eine gemeinsame Aufgabe. (Stefan Binder, derStandard.at, 21.10.2014)