Mit dem Herbst kommt die Wratschko-Lust. Erst wenn das erste wunderschön miese Wetter in die Stadt zieht, kann man das Lokal so richtig genießen: eine ziemlich alte Holzschank und ebensolche -bänke, vertäfelte Wände, die ein wenig an ein Café in Montmartre erinnern, knarrende Dielen als Fußboden und ganz generell eine Patina, wie nur jahrzehntelanger, exzessiver Nikotin- und Alkoholkonsum sie anzurichten vermag. Statt heruntergekommen wirkt das alles hier wie in Würde gealtert.
Sollten Sie jemals einen stadtfremden Gast ausführen wollen: Das Wratschko ist eines der ganz wenigen Beisln, die tatsächlich so aussehen, wie ich mir vorstelle, dass Touristen sich das vorstellen, und wo man trotzdem gut isst.
Weit über dem Durchschnitt
Das Essen war meiner Meinung nach früher einmal ganz hervorragend und hat in den vergangenen Jahren ein wenig nachgelassen. Ist aber immer noch weit über dem Durchschnitt der kulinarischen Wüste "klassisches Beisl", und das Gesamterlebnis macht manche Schnitzer wett.
Im Gegensatz zu vielen Mitbewerbern wird hier extrem viel selbst und frisch gemacht. Das führt zu teilweise abstrusen Wartezeiten, schmeckt dann aber meistens versöhnend gut. An guten Tagen ist das herrlich milchige Erdäpfelpüree mit ordentlich Brocken drin zum Eingraben gut, die dazugehörenden Fleischlaberln kommen in einem Saft, der schmeckt, als sei die Gusseisen-Pfanne seit der Eröffnung niemals gewaschen worden (Gott sei Dank!). Das Paprikahendl ist würzig und überhaupt nicht trocken, genauso wie die geschmorte Kaninchenkeule, das Wurzelfleisch ein gelatinefeuchter Fleischfresser-Traum, und wenn einem sonst nichts anlacht: Mit der gesottenen Zunge kann man nichts falsch machen.
Sollten Sie jemals den Lammeintopf bekommen, sagen Sie mir, wie er war. In all meinen Wratschko-Jahren konnte ich ihn noch nie bestellen – er steht zwar immer auf der Karte, ist aber ebenso verlässlich aufgegessen. (Tobias Müller, derStandard.at, 20.10.2014)