Im Jahr 2011 wurde die Rot-Weiß-Rot-Karte stolz präsentiert. Wissenschafter kämpfen gegen bürokratische Hürden.

Foto: Standard/Cremer

Ihren Vortrag bei einer Tagung zu Arbeitsmarktökonomie in Slowenien konnte die Wirtschaftswissenschafterin Derya Uysal nicht halten. Sie konnte nicht aus Österreich auszureisen. Wieder einmal ist ihre Aufenthaltsgenehmigung abgelaufen, weil sie wieder einmal trotz rechtzeitigen Antrags noch nicht verlängert wurde.

Uysal ist am Institut für Höhere Studien in der Abteilung für Wirtschaft und Finanzen tätig, ihr Vertrag läuft bis September 2017. Trotzdem muss sie Jahr für Jahr einen Antrag für die Rot-Weiß-Rot-Karte – eine Aufenthaltsgenehmigung für Hochqualifizierte und Fachkräfte aus Mangelberufen – stellen. Die Rot-Weiß-Rot-Karte wurde 2011 eingeführt, sie soll Nicht-EU-Bürgern mit einem Punktesystem die Jobsuche in Österreich erleichtern. Die Antragsteller müssen mindestens ein Masterstudium abgeschlossen haben und ein Mindesteinkommen von 1.900 Euro nachweisen.

5.500 Rot-Weiß-Rot-Karten augestellt

Bis zu 8.000 Karten sollen jährlich ausgegeben werden, im Jahr 2013 waren es allerdings nur 1.990. Überhaupt wurden seit der Einführung der Karte bis zum ersten Halbjahr 2014 nur 5.500 Rot-Weiß-Rot-Karten ausgestellt. 393 dieser Karten waren "blaue Karten", mit der Hochqualifizierte aus Drittländern eine Arbeitsgenehmigung innerhalb der gesamten EU bekommen.

Der Grund dafür, dass so wenige Karten ausgestellt werden, liegt auch an den hohen bürokratischen Hürden. Als Uysal 2011 das erste Mal einen Antrag stellte, musste ihr Arbeitgeber ihre Vorlesungen, die sie an der TU Wien und am IHS in Österreich halten sollte, auf einen späteren Zeitpunkt verschieben. Die Bearbeitung ihres Antrags hatte statt der erlaubten acht Wochen ganze vier Monate gedauert.

Probleme mit der MA 35

Um sich diesem Druck nicht noch einmal aussetzen zu müssen, wollte es Uysal 2014 mit einer blauen Karte der EU probieren. Doch auch hier hatte sie wenig Glück. Insgesamt hat sie 14 Wochen auf ihre Karte gewartet. "Ich musste immer wieder Dokumente nachreichen, von denen ich vorher nicht wusste, dass ich sie überhaupt abgeben muss", sagt Uysal im Gespräch mit derStandard.at. Als sie fehlende Dokumente nachschickte, habe ihr die in Wien zuständige MA 35 trotz ihrer Bitte nicht gesagt, ob der Antrag nun bewilligt werden könne.

Für Uysal ist die Arbeit der MA 35 nicht nachvollziehbar. So habe man ihr etwa erst nach zwei Monaten gesagt, dass eine Wohnrechtsvereinbarung fehle – und das, obwohl sie ihren Mietvertrag, der für drei Jahre gültig ist, bereits abgegeben hatte.

Die MA 35 weist in einer Stellungnahme den Vorwurf, dass zu wenig informiert werde, zurück. Auf Informationsblättern würden alle erforderlichen Unterlagen aufgelistet. Dass die Frist von acht Wochen nicht eingehalten werden konnte, liege nicht nur an der MA 35, sondern auch am Arbeitsmarktservice (AMS), das den Antrag prüft.

Van der Bellen will Reform

Alexander Van der Bellen, Uni-Beauftragter der Stadt Wien, sieht in dem Fall ein Beispiel für die fehlende Willkommenskultur für Hochqualifizierte. "Die MA 35 ist überfordert, das wundert auch niemanden angesichts der Materie. Wir schrecken auf diese Weise Leute ab, zu kommen und zu bleiben", sagt er im Gespräch mit derStandard.at. Diese Forscherin werde sich überlegen, ob sie hier bleibe, wenn ihr Vertrag ausläuft. "Und sie ist eindeutig hochqualifiziert."

Uysal hat ihr Bachelor-Studium in Wirtschaft an der Bogazici-Universität in Istanbul absolviert und ihre Master- und Doktoratsstudium an der Uni Konstanz abgeschlossen. In Deutschland habe sie nie solche Probleme wie in Österreich gehabt, sagt Uysal. Zudem wisse sie von anderen Wissenschaftlern, dass in anderen EU-Staaten bei der Arbeitserlaubnis die Länge des Arbeitsvertrags nicht beachtet werde.

Van der Bellen hat im Interview mit dem STANDARD am Dienstag vorgeschlagen, sich die deutschen Regelungen zum Vorbild zu nehmen. In Deutschland gibt es keine Einkommensgrenze für Hochqualifizierte, und auch Bachelorabsolventen können eine Arbeitserlaubnis bekommen.

SPÖ bremst bei Reformen zu Rot-Weiß-Rot-Karte

Auch die ÖVP bzw. Integrations- und Außenminister Sebastian Kurz hat wiederholt eine Senkung der Einkommensgrenze verlangt. Sozialminister Rudolf Hundstorfer bremst. "Es wird keine Änderungen geben", heißt es aus seinem Büro auf Anfrage von derStandard.at. Immerhin gebe es auf dem österreichischen Arbeitsmarkt immer noch arbeitssuchende Bachelors aus allen Fachrichtungen. Und: "Wenn die nicht besonders hohen Einkommensgrenzen fallen sollen, dann liegt immer der Verdacht nahe, dass für möglichst hohe Qualifikationen möglichst wenig bezahlt werden soll."

Die Türkin Uysal soll jedenfalls in den nächsten Tagen eine Verständigung von der Behörde erhalten, verspricht Werner Sedlak, Leiter der MA 35, auf Anfrage von derStandard.at: "Ich darf Ihnen versichern, dass alle Unterlagen vollständig aufliegen." Sie selbst ist den österreichischen Behörden gegenüber skeptisch geworden. "Als türkische Forscherin in Österreich zu arbeiten ist komplizierter, als ich es mir vorgestellt habe", sagt sie. Noch während der Recherchen von derStandard.at wurde sie von der MA 35 darüber informiert, dass ihr Karte nun abholbereit ist. (Lisa Kogelnik, derStandard.at, 20.10.2014)