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Zwischen Todesahnung und Mordfantasie: Veronique Gens (als Iphigenie) und Christoph Pohl (als Thoas).

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Wien – Es dreht sich die Bühne, es wechseln die Schauplätze – die Atmosphäre jedoch bleibt angespannt: Was immer sich in den Räumen abspielt, es wird von hohen, kahlen Wänden umzingelt, die Figuren sind Eingebunkerte, für die es kein Entrinnen gibt. Nicht für Agamemnon, der zu Beginn auf einer goldenen Weltkugel scheinmächtig mit der Pistole eine Gefahr für sich selbst wie für andere darstellt. Nicht für Achille, der Iphigenie zu ehelichen glaubt. Nicht für Clytemnestre, die ihren Gatten Agamemnon meucheln wird, der seinerseits Tochter Iphigenie zu opfern gedenkt.

Auch für Iphigenie gibt es aus diesem – durch das Mauerwerk versinnbildlichten – inneren Verzweiflungskerker, in dem ihre mordaffine Atridenfamilie schmort, lange keinen Ausweg Richtung Seelenfrieden.

Dass ihr Opernweg im Theater an der Wien etwas kürzer als gemeinhin ausfällt, ist einem Fusionskunstgriff zu danken: Christoph Willibald Glucks Opern Iphigénie en Aulide und Iphigénie en Tauride wurden zu einem Musiktheater der Opferwut, innerer Hölle und der ewigen Wiederkehr von Mord- und Todesfordfantasien zusammengefügt.

Ein Experiment

Das Experiment ist natürlich kein Muss. Und auf "Fliegender Holländer trifft Isolde" oder "Traviata begegnet Fallstaff" wird hoffentlich noch sehr lange zu warten sein. Aber Fischer, bei dem es flink aus dem Beginn der Aulide-Ouverüre hineingeht in die inneren Qualen Agamemnons, schafft es doch, trotz Kürzungen, ein schlüssiges Porträt einer traumatisierten Frau zu entwerfen. Deren Verwandlung vom Opfermädchen zur priesterlichen Exilantin, die ihren verschollenen Bruder Oreste (intensiv und klangvoll Stephane Degout) eigenhändig opfern soll, zeitigt durchaus verdichtende Effekte, zeigt charakterliche Entwicklungslinien auf und arbeitet dabei sinnvoll mit einer Verdopplung der Figur.

In Aulide ist die passabel singende Lenneke Ruiten Iphigenie, während in Tauride Veronique Gens die Rolle übernimmt. Gens (vokal durchaus glutvoll) ist auch im ersten Teil präsent quasi als Göttin Diana (wie auch Ruiten im zweiten Teil den göttlichen Part übernimmt). Allerdings wäre durchaus vorstellbar, dass die ältere Iphigenie – im ersten Aulide-Teil – ihre Vergangenheit wie eine Ausstellung begeht. Wie auch immer. Es ergeben sich delikate Momente, in denen verschiedene Zeitebenen reizvoll verschmelzen.

Schreckliche Gemälde

Da hängen längst Ermordete an Wänden wie schreckliche Anklagegemälde, werden Morde wieder und wieder begangen, retten sich aus der Vergangenheit in die Gegenwart als Albträume der Figuren. Dass zwischendurch optisch allerdings auch Fleißaufgaben des Plakativen erledigt werden, ist schade. Blut bekleckert allzu viele Körper und Wände. Derb wird mit Messern und Pistolen herumgefuchtelt. Und auch Teile der Masse (glänzend der Arnold Schönberg-Chor) werden zu etwas sinnentleerten Entkleidungsgesten angehalten. Die größten Effekte bedürfen allerdings nur kleiner Andeutungen.

Fischer zeigt es selbst: Er hat in diesem zeitlos-abstrakten Ambiente (Bühne: Vasilis Triantafillopulos) durchaus Momente der Reduktion geschaffen, die den Fokus auf die Figuren lenken und dabei beziehungserhellende Interaktionen bewirken.

Am heftigsten transportiert seine Qualen der impulsiv agierende und packend singende Christoph Pohl (als Agamemnon und Thoas). Wobei: Insgesamt weisen die Leistungen respektables Niveau auf (Michelle Breedt als Clytemnestre; Rainer Trost als Pylade, Maxim Mironov als Achille); und sie können sich in einer kundigen Orchesterumgebung entfalten.

Dirigent Leo Hussain animiert die kompakt agierenden Wiener Symphoniker zu sauberer, dynamischer Arbeit, die der Bühne mit wuchtigen Akkordrufzeichen Energie verleiht. Durchaus gelingt es aber auch, im Kleinen auf dem Pfad der rhetorischen Phrasierung Akzente zu setzen. Und: Markante Färbungen sind Teil der differenzierten Partiturumsetzung. Freundlicher Applaus für alle. (Ljubiša Tošić, DER STANDARD, 18./19.10.2014)