Monatsmieten von bis zu 400 Euro je Quadratmeter machen große Teile der Wiener Innenstadt nur noch für internationale Modedesigner erschwinglich. Die Zahl der Einzelkämpfer unter den Betrieben nimmt weiter ab, zumal ihnen die Nachfolger fehlen.

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Eveline Kremser lässt den Luxus nicht über ihre Geschäftspforten. Zweimal im Jahr entstaubt sie ihre Auslage. Seit den 50er-Jahren erblicken hier Kunden nahezu das Gleiche: einen ausrangierten Holzfernseher, Lampen, Stecker, historische Werbeplakate, einen selbstgebastelten Christbaum. Wenige Straßenecken weiter ebnen edle Steinböden den Weg in die Welt der Reichen und Schönen. Designermode um tausende Euro offeriert sich in ausgeklügelt komponiertem Spiel aus Glas und Licht. Das Innere von Kremsers Laden kleiden Spanplatten aus, von den Fensterläden blättert der Lack, ein Osterstrauß harrt des Frühlings.

Fünfmal am Tag könnte sie ihr Elektrogeschäft in der Wiener Innenstadt verkaufen, sagt die alte Dame und lächelt vergnügt. Vor allem, seit der Investor René Benko mit seinem Goldenen Quartier einen Schwung an Nobelmarken zwischen Tuchlauben, Graben und Am Hof holte. Aber die Neuen, die im Haus ihrer Familie in der Schultergasse stets vergeblich ihr Glück versuchen - "das sind ja alles Illusionisten".

Unzählige Händler hat die 72-Jährige kommen und gehen sehen. "Mit Bankschulden statt Eigenkapital geht gar nichts." Mit flinkem Griff zieht sie zwischen hunderten Schachteln, Kisten und Zeitungsstapeln Batterien und Glühlampen hervor. "Die Geräte, in die die reingehören, gibt es ja oft gar nicht mehr", erläutert ein Kunde in Managerkluft und ist dankbar, fündig geworden zu sein. "Ich bin ein Kamel, aber bitte können S' mir noch einmal erklären, wie der Batterientester funktioniert", flüstert ein schwer über seinen Gehstock gebeugter Mann. Kremser kann.

Schön anzusehen ist es ja, das Goldene Quartier, sagt sie schließlich, und ihr silbriger Haarknoten glänzt im Licht, "aber wie viele gibt es schon, die 7000 Euro ohne mit der Wimper zu zucken ablegen?" Das Ganze laufe, solange es Konzernmütter stützten. Ob sich zu ihr reiche Russen verirren? "Manchmal kaufen Botschaftsmitarbeiter Trafos und Reisestecker."

Nachfolger fehlen

Ihr Laden mag schrullig sein - "aber unterschätzen S' nicht die fachliche Kompetenz der Dame", sagt Josef Stary und hält ein paar Häuserblocks schräg vis-à-vis von seiner Arbeit an einer feinen Eckbank inne. Der Tapezierer und Dekorateur zählt zu den letzten Gewerbetreibenden des Stadtkerns. Seit 1892 führt seine Familie den Betrieb in der Kleeblattgasse und lebt von Kundschaft mit individuellen Wünschen. Dass die Zahl der Kleinen weiter sinkt, liegt nicht an zu wenigen Aufträgen, sondern an fehlenden Nachfolgern, erzählt er. Und er bezweifelt, dass Touristen Wien aufgrund neuer Luxusmeilen aufsuchen: "Die gleichen Marken gibt es ja überall auf der Welt."

Drei Urlauber schlendern nach kurzem Verweilen vor der Werkstätte der Starys gen Tuchlaubenhof. Nobellabels bleiben unbeachtet, ihre Kameras zücken sie am Schulhof, wo Gerhard Hofers Uhrmacherbetrieb seit 100 Jahren die Stellung hält. Eine optische Aufwertung sind die teuren Nachbarn - ohne Zweifel, und sie werden das Viertel beleben, sagt er, nachdem ihn das feine Klingeln der Eingangstür an den Verkaufstisch holte. "Aber viele fragen sich halt schon, wie sich das alles rechnet."

Offen aussprechen wollen es im ersten Bezirk wenige. Dass der Luxus in Benkos güldenem Quartier boomt, glaubt jedoch keiner. Grabesstille umgibt die schwarzen Fassaden, dahinter beleben vor allem schicke Verkäufer die Noblesse. In emsiger Betriebsamkeit arbeitet nur ein Fensterputzer. Da und dort drehen Frauen mit Kinderwägen die Runde - doch auch die Absenz von Preisschildern vermag diese nicht ins Innere zu locken.

Es sind die an Rubelverfall und Ukraine-Krise leidenden Russen, die als verlässliche Geldgeber ausbleiben. Dass kaufkräftige Chinesen und Araber die Lücke zur Gänze füllen, wird vielfach bezweifelt. "Der Start erfolgte zu einem unglücklichen Zeitpunkt, die Erywartungen wurden bisher sicher nicht erfüllt", sagt Florian Jonak, der auf dem nahen Kohlmarkt und Graben Filialen von Armani, Dolce & Gabbana, Hermès und Versace betreibt. Sorgen machen muss sich um Flagshipstores von Luis Vuitton, Prada über Valentino, Roberto Cavalli bis zu Miu Miu und demnächst Chanel mit ihren langjährigen Mietverträgen aber keiner. Fast alle sind Werksniederlassungen, abgesichert von profitablen Mutterkonzernen, die mit doppelter Spanne arbeiten und Flauten durchdrücken, ohne zu quietschen. Allein der drohende Imageverlust verbietet rasche Rückzüge.

"Keiner von ihnen ist so dumm zu glauben, dass es bereits nach einem Jahr Gewinne gibt", versichert Jonak. Er selbst mache als Franchisenehmer dennoch einen Bogen ums Quartier. "Für private Händler ist das Konzept nicht nachvollziehbar. Wir sehen keine Verdienstmöglichkeiten." Benkos goldene Neuankömmlinge zahlen Monatsmieten von bis zu 400 Euro und mehr für den Quadratmeter. Zum Vergleich: Vor zehn Jahren waren am Kohlmarkt noch 120 Euro üblich, heute landet man damit allenfalls in der Thaliastraße.

Kommt Zeit, kommt Geld

Wie Jonak glaubt auch der Immobilieninvestor Jamal Al-Wazzan, dass das Quartier einfach Zeit braucht: Bis es mit der Innenstadt zusammenwachse, könnten bis zu acht Jahre vergehen. Stephan Mayer-Heinisch, Präsident des Handelsverbands, warnt vor voreiliger Kritik: Nur weil der Konsum nicht sichtbar sei und kein Kaugummifleck am Boden, heiße das nicht, dass Umsatz fehle. "Das Quartier ist saubere Handarbeit, städtebauliche Leistung gehört honoriert."

Ob die exklusiven Nachbarn gut verdienen, ist Michael Weissenbeck einerlei. Der Juniorchef mit Stehfrisur, Dreitagebart und flottem Outfit stellt die vierte Generation des 218 Jahre alten Händlers für Bett- und Tischwäsche. Und da heiße es eben, selbst für den Gedeih des Betriebs geradezustehen, sagt er. Auch wenn sich rundum nur noch Modedesigner die enormen Mieten leisten könnten, seine Familie führe ihn unbeirrt weiter. "Ich bin von Kindsbeinen an im Geschäft, das wird so bleiben." (Verena Kainrath, DER STANDARD, 18.10.2014)