Die Tage eines Lebemanns und gigantischen Rhetorikers sind gezählt: Georg Danton (Joachim Meyerhoff) hat als Justizminister der Französischen Revolution die Septembermorde mitverantwortet.

Foto: Reinhard Maximilian Werner

STANDARD: Sie haben sich mit der letzten Spielzeit die beste aller Zeiten ausgesucht, um am Burgtheater zu pausieren. Ich gratuliere.

Joachim Meyerhoff: Gut, gell? Ich gratuliere mir dazu auch. Es ist ja fast peinlich, dass man genau die Titanicfahrt auslässt. Ich war aber wirklich froh. Das ging für die Schauspieler schon an die Existenz.

STANDARD: Wie empfinden Sie die Stimmung nach Karin Bergmanns Bestellung?

Meyerhoff: Ich kann sagen, die Stimmung ist gut, kein Vergleich zu dem, wie es war. Aber ein Theater ist ja nicht dazu da, dass alle guter Stimmung sind! Ob zu Peymanns Zeit immer alle guter Stimmung waren, bezweifle ich. Bei Kollegen, die Angst haben müssen vor Kündigungen, ist die Stimmung sicher katastrophal.

STANDARD: Sie waren nun eine Spielzeit lang am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg. War es notwendig, diese Schleife zu machen, um nun mit einer für Sie ungewöhnlichen Rolle wie Danton zurückzukehren?

Meyerhoff: Ich denke schon. Es ist erstaunlich, dass ich das nun spiele. Danton ist eine Figur, die einem eine gewisse Grundenergie verbietet. Er sagt immer, "ich mag nicht weiter". Ich will aber immer agiler sein als dieser Mann!

STANDARD: Die Rolle besteht ja vor allem aus großen Portionen hingemeißelter Rhetorik. Kaum Handlungen. Wie machen Sie das lebendig?

Meyerhoff: Die von Büchner eigens montierten historischen Reden Dantons sind wirklich in Stein gehauenes Pathos. Im Stück aber gibt es schon Passagen, die lyrisch sind, wo es um Melancholie geht. Damit kommt man besser ins Spiel rein. Das Interessante ist ja die Distanz des Menschen Danton zu seinen Sätzen. Diesen Abgrund gilt es zu vermessen. Es ist heutzutage schwer, diese Sätze zu sprechen. Sie nur "wegzusprechen" ist Unsinn, dann sind sie ja für die Katz', andererseits ganz das Pathos zu bedienen, das kann schnell falsch tönen. Man muss ein Wesen sein, das sich nach dieser Art des Sprechens sehnt und daraus Kapital schlagen.

STANDARD: Also Zähne putzen oder eher nicht Zähne putzen?

Meyerhoff: Auf keinen Fall Zähne putzen! Es soll das Eingespanntsein in so einen Fatalismus der Geschichte spürbar werden. Dieser Determinismus ist ja ein großes Thema Büchners, dass alles immer voranschreitet und nicht aufhört. Der Todestrieb Dantons macht mich ganz krank. Weil es ist nicht einmal das Sterben, das ihn erlöst. Er sagt ja: "Wenn ich mich auflöste, dann wäre ich eine Handvoll gemarterten Staubs." Selbst der Staub ist gemartert! Man bleibt auf ewig ein elendes Häufchen Materie, das leidet. Will man das?!

STANDARD: Georg Danton wird als "Dogge mit Taubenflügeln" bezeichnet. Beschäftigen Sie solche Bilder in der Vorbereitung?

Meyerhoff: Ja. Es gibt auch das historische Danton-Porträt mit diesem mächtigen Fleischkopf und den Narben. Ich habe die ganzen Porträts nebeneinandergelegt: Danton, Robespierre, St. Just und so weiter. Und das von Büchner ist im Vergleich dazu ein transparentes Bild eines fast Nerd-artigen, überintelligenten, sensiblen Hypochonders. Der aber dem Danton seinen Vornamen gibt! Büchner hatte ja auch eine Sehnsucht, ein Revolutionär zu sein, und er schreibt sich jetzt - über die sexuelle Orientierung Büchners kann man da spekulieren - in diesen Hurengänger und Großrevolutionär ein.

STANDARD: Das Stück hat vierzig Seiten Anmerkungen. Der Text ist sehr dicht und voller auf Anhieb schwer zu durchschauender Verweise. Wie macht man das verständlich?

Meyerhoff: Diese Generation an Dichtern wie Büchner, Hölderlin oder Schelling, die waren ja durch ihre Bildung intellektuell völlig überfrachtet; daraus sind die dann oft raketenhaft explodiert. Also: Man muss eine gute Fassung machen. Man muss viel rausstreichen, sonst hört man nichts.

STANDARD: Es steckt viel Deklamationstheater drinnen und viele Thesen, die es zu beglaubigen gilt.

Meyerhoff: Wir versuchen sie zu beglaubigen. Man könnte ja auch gut einen assoziativen Laborabend machen. Aber wir wollen in das Stück hinein! Und ich habe heute bei der Probe wieder einen Angelpunkt gefunden. Danton sagt ja ständig: "Sie werden's nicht wagen." - Ich finde das einen der modernsten Gedanken von Leuten, die zu Macht gekommen sind. Die denken auch ständig, mir passiert nichts. Und auf einmal hauen sie ihm den Kopf ab.

STANDARD: Die Frauenrollen ...

Meyerhoff: Absolutes Testosterontheater. Wir sind ja damit geimpft, die Frauenrollen nachbessern zu wollen. Immer ist die Frage: Wie kriegen wir die Frauenrollen zu selbstbestimmten, modernen Figuren? Und sobald sie modern sind, sind oft die Motive verschwunden. Man ist ratlos. Dieses Problem haben Jan Bosse und ich schon so oft gehabt: bei Käthchen von Heilbronn, bei Faust, Hamlet.

STANDARD: In Ihrer Arbeit als Autor haben Sie noch zwei Romane angekündigt: zu Ihren Großeltern und zur Theaterarbeit. Haben Sie nicht auch Lust, etwas Nicht-Autobiografisches zu schreiben?

Meyerhoff: Ich habe so große Lust. Total. Und denke, meine autobiografische Vergewisserung der letzten Jahre ist auch der Weg dorthin. Aber es wäre für mich auch akzeptabel, wenn ich als Autor für immer verstumme. Was ich allerdings am liebsten machen würde, wäre Theaterstücke zu schreiben. Vielleicht schaffe ich es, Karin Bergmann zu überzeugen.

STANDARD: Welches Theater sollte das sein?

Meyerhoff: Ich vermisse im Theater oft das erzählerische Element. Das klingt ein wenig betulich. Ich denke da an eine Form mit Erzählstimme und mit Laien. Es sollte womöglich auch lustig sein. (Margarete Affenzeller, DER STANDARD, 18./19.10.2014)