Die Scharia, das islamische Recht, strukturiert auch die Bank- und Finanzprodukte. Auch westliche Banken entdecken den Bereich Islamic Finance nach und nach für sich.

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Wien - Wer in Österreich sein Geld auf ein Sparbuch legt, bekommt dafür aktuell so gut wie keine Zinsen mehr. Aber eine Produktlandschaft, in der von vornherein auf Zinsen verzichtet wird, ist hier zulande trotz Niedrigzinsphase eigentlich undenkbar.

Es gibt aber einen Finanzbereich, der genau auf diesem Prinzip aufbaut und sich dennoch über stetigen Zulauf freuen kann: Islamic Finance. Diese Bank- und Anlageform folgt einfachen Regeln. Zinsen, wie gesagt, gibt es keine. Investments in Unternehmen, die in Kontakt mit Glücksspiel, Schweinefleisch, Alkohol, Tabak, Waffen und Prostitution stehen, sind verboten. Die Grundlage für Islamic Finance ist die Scharia, das islamische Recht. Ein Scharia-Board prüft die Produkte auf die Einhaltung der Vorgaben.

Auch mit Derivaten, Leerverkäufen oder Termingeschäften haben sich islamische Banken nie beschäftigt. Gehandelt werden darf nur, was einen realen Gegenwert hat. Damit ist Islamic Finance so streng reguliert wie kaum ein anderer Sektor - zumindest bis die Finanzkrise für neue Richtlinien in der Bankenwelt gesorgt hat. Das erklärt auch, warum das Islamic Finance seit der Finanzkrise zunehmend wächst. Auf der Suche nach alternativen Veranlagungen haben Investoren diesen Bereich entdeckt und ihn Stück für Stück aus der Nische geholt.

Meilenstein

Die Beratergesellschaft Ernst & Young schätzt, dass die Vermögenswerte im islamischen Banking zwischen 2009 und 2013 jährlich um rund 17 Prozent gewachsen sind. Bis 2018 soll diese Wachstumsrate laut den Schätzungen jährlich auf knapp 20 Prozent steigen. Khalid Howladar von der Ratingagentur Moodys bezeichnete diese Entwicklung im "Economist" zuletzt als Meilenstein für das islamische Finanzwesen, das sich von "einer sehr esoterischen Assetklasse in eine globale verwandelt hat".

Aber wie funktionieren Kredite oder Anleihen, wenn Zinsen tabu sind? Ein Beispiel: Möchte ein österreichischer Kunde ein Haus kaufen, bekommt er - im Idealfall - einen Kredit von seiner Bank, kauft das Haus und zahlt die Kreditraten inklusive Zinsen zurück. Islamkonform funktioniert eine Kreditfinanzierung dieser Art aufgrund des Zinsverbots nicht: Islamkonform würde die Bank das Haus kaufen, um es dann - mit Preisaufschlag - an den Kunden weiterzuverkaufen. In Österreich müsste in dem Fall aber die Grunderwerbssteuer zweimal bezahlt werden. In Großbritannien hat man auf gesetzlicher Ebene reagiert und den doppelten Steueraufwand gestrichen. Die zweite Möglichkeit ist, dass der Kunde so lange monatliche Zahlungen an die Bank leistet (eine Kombination aus Rückzahlung und Miete), bis das Haus abbezahlt ist.

Große Nachfrage

Großbritannien ist auch Vorreiter in Bezug auf islamkonforme Staatsanleihen, die Sukuk genannt werden. Das Land hat heuer im Juni - und damit als erstes Land nach der Finanzkrise - solche Papiere im Volumen von 200 Millionen Pfund zur Zeichnung aufgelegt und einen überraschenden Erfolg erzielt. Anleger haben Gebote im Umfang von 2,3 Milliarden Pfund (2,86 Mrd. Euro) abgegeben, das ist mehr als das Elffache des ausgegebenen Volumens.

Bereits 2007 wollten die Briten einen Sukuk auflegen, doch dann kam die Finanzkrise. Weil London seine Attraktivität als weltweites Finanzzentrum stärken will, hat man diese Pläne nun umgesetzt. Schatzkanzler George Osborne hatte zuletzt gesagt, London solle zum westlichen Zentrum für islamische Finanztransaktionen werden. Der Sukuk ohne Zinsen funktioniert so: Anleger erhalten Einnahmen, die - im Fall des britischen Sukuk - auf der Verpachtung von drei staatlichen Liegenschaften beruhen. Anleger leihen ihr Geld technisch gesehen nicht her, sondern werden Eigentümer.

Vor der Krise war das deutsche Bundesland Sachsen-Anhalt das erste Land in Europa, das sich 2004 mit einer islamischen Anleihe auf den Markt wagte.

Neuer Hoffnungsmarkt

Immer mehr Finanzplätze entdecken diesen Bereich. Auch Luxemburg denkt an die Ausgabe von im Einklang mit der Scharia stehenden Anleihen. In Liechtenstein findet Ende Oktober zudem die erste Liechtenstein-Islamic-Finance-Conference statt, bei der die Universität Liechtenstein und die lokale Finanzmarktaufsicht über das Potenzial in diesem Segment berichten. Weltweit wurden im Vorjahr Sukuks im Volumen von 21,6 Milliarden Dollar begeben, berichtet das "Wall Street Journal Deutschland" unter Berufung auf Daten von Dealogic. Das sei der höchste Betrag seit 2008, als mit der Datenerfassung in diesem Bereich begonnen wurde. Das weltweit ausstehende Sukuk-Gesamtvolumen (begeben von Staaten und anderen Organisationen) betrug Ende Juli 296 Mrd. Dollar.

Wer aber kauft diese Produkte? Nur strenggläubige Muslime? Die Antwort ist: Nein. Selbst in Saudi-Arabien würden islamkonforme Produkte laut "Economist" nur die Hälfte der Bankaktiva ausmachen. Viele Anleger und vor allem internationale Investoren würden sich diese Papiere aber als Alternative ins Portfolio legen. Den britischen Sukuk beispielsweise haben vor allem Investoren aus dem Nahen Osten, Asien und auch aus Großbritannien erworben. Fast zwei Drittel davon gingen an Banken.

Österreich hinkt hinterher

Für die heimischen Banken ist Islamic Finance noch kein wirkliches Thema. Die vielen Verbote und allen voran das Zinsverbot schmälerten das Investmentuniversum deutlich, heißt es. Auch der Austausch mit dem Scharia-Board gilt noch als Hürde.

Die Scharia, das islamische Recht, strukturiert auch die Bank- und Finanzprodukte. Auch westliche Banken entdecken den Bereich Islamic Finance nach und nach für sich. (Bettina Pfluger, DER STANDARD, 17.10.2014)