Als rings um sie live im griechischen Fernsehen das Chaos ausbricht, behält die studierte Politologin Rena Dourou (40) die Nerven. Und sie verzieht keine Miene, als sie ein Schwall Wasser aus dem Glas ihres Gesprächspartners im Gesicht trifft. Für einen Augenblick nur umspielt ein spöttisches Lächeln ihre Lippen. So beobachtet sie den Fortgang des bizarren Auftritts ihres Gegenübers Ilias Kasidiaris, Parteisprecher der rechtsextremen Goldenen Morgenröte, der schließlich noch ausholt und einer Abgeordneten der Kommunisten dreimal ins Gesicht schlägt: rechts, links, rechts.

Während Kasidiaris nach kurzer Flucht festgenommen und seine parlamentarische Immunität aufgehoben wird, hat der Eklat Dourous Popularität in der griechischen Linken in neue Höhen getrieben. Als erste Frau und als erste Politikerin der Syriza wurde Dourou Ende Mai zur Gouverneurin der Provinz Attika gewählt, wo im Dunstkreis Athens mit vier Millionen Einwohnern fast 40 Prozent aller Griechen leben – und wo die soziale und politische Krise die Menschen noch fester im Griff hat als anderswo. In einem Land, wo bisher meist ältere Männer, abwechselnd sozialistischer und konservativer Provenienz, das Sagen hatten, kam ihre Wahl einer kleinen Revolution gleich. Im September trat sie ihr Amt an.

Der Eklat im TV-Studio des Senders Antenna.

Heute gilt sie als einzige potenzielle Konkurrentin des charismatischen Parteichefs Alexis Tsipras. Mit diesem verbindet sie nicht nur das gleiche Alter, sondern auch die Gründungsmitgliedschaft bei Syriza, der Koalition der Radikalen Linken, die 2012 nach Jahren des losen Zusammenschlusses linker Gruppen als Partei geformt wurde.

Dourous stoischer Blick, zur Schau gestellt im Fernsehstudio, ist zu ihrem Markenzeichen geworden. "Eine gewisse Robustheit wird bei männlichen Politikern als Tugend gesehen, robuste Frauen gelten hingegen schnell als autoritär", sagt Dourou zu derStandard.at, wissend, dass die Erwartungen an sie höher sind als der Olymp. Und dass viele nur darauf warten, dass sie Fehler macht.

Wenig Erfahrung

Pragmatismus sei nun das Gebot der Stunde, sagt die Tochter eines Athener Polizisten und einer Hausfrau. Man müsse streng sein, damit sich etwas bewegt, sagte sie etwa mit Blick auf die tausenden attischen Gemeindebediensteten, denen die griechische Regierung lieber heute als morgen kündigen würde. 15 Prozent dieser Posten möchte das zuständige Ministerium für Verwaltungsreformen künftig einsparen. Dourou weigerte sich bisher, die Personalakten an das zuständige Ministerium weiterzuleiten, wo sie auf Unregelmäßigkeiten geprüft werden sollen. Sie wolle sich selbst darum kümmern, sagt sie.

Und auch die lokale Abfallwirtschaft bekommt den neuen Wind in Attika zu spüren. In den ersten Wochen ihrer Regierung ließ sie vier Angebote für dringend benötigte neue Müllhalden in der notorisch überlasteten Hauptstadtregion ausschlagen, da sie ihr als nicht kostengünstig und nicht umweltfreundlich genug erschienen.

Auf die Unterstützung der etablierten Lager darf die vergleichsweise unerfahrene Politikerin freilich nicht zählen, wie sie unlängst in der "New York Times" schilderte. Als sie ihren Amtsvorgänger in einem Brief um Informationen zu offenen Punkten und aktuellen Angelegenheiten in der Region bat, antwortete dieser lapidar, sie möge sich die Daten aus dem Internet besorgen.

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Foto: EPA/ORESTIS PANAGIOTOU

"Ich habe nie eine politische Karriere angestrebt", sagt Dourou, die neben Griechisch auch Türkisch und drei andere Sprachen beherrscht. "Mir ging es immer um die Förderung des Kollektivs. Darum habe ich mich in sozialen und politischen Bewegungen engagiert."

Nach einem Auslandsstudium im englischen Essex kehrte sie nach Athen zurück, verdingte sich untertags in Werbeagenturen und verbrachte die Nächte und die Wochenenden in den politischen Zirkeln der jungen Linkspartei.

2012 wurde sie ins Parlament gewählt, wo sie als außenpolitische Sprecherin ihrer Partei diente. Im Herbst 2013 legte sie ihr gut dotiertes Mandat nieder, um sich voll dem Wahlkampf um das Regierungsamt in Attika zu widmen, dem der Größe der Hauptstadtregion gemäß der Ruf eines "Mini-Premiers" vorauseilt – obwohl die Umfragen keineswegs einen sicheren Sieg prognostizierten. "Es ist mir gar nicht in den Sinn gekommen meinen Parlamentssitz zu behalten, nur damit ich im Falle einer Niederlage ein Amt habe. Ich glaube fest daran, dass Politiker Beständigkeit zeigen müssen bei dem, was sie sagen, und dem, was sie tun."

Kampf gegen Klischees

Im Wahlkampf war Dourou, die als Inspiration Simone de Beauvoirs feministisches Standardwerk "Das andere Geschlecht" angibt, nicht nur einmal dem Sexismus der männlichen Altvorderen ausgesetzt. Sie solle sich auf ihren Plakaten doch im Bikini zeigen, damit die Griechen wissen, was sie wählen, forderte etwa ein ehemaliger Vizepremier. Im Kurznachrichtendienst Twitter wurde weniger über Dourous Programm getuschelt als über ihre Schenkel. "Die Krise hat die patriarchalen Standards in Griechenland noch verstärkt", sagt Dourou. "Viele Männer denken, man könne die Arbeitslosigkeit verringern, indem man die Frauen nach Hause schickt."

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Dourou setzte auf eine Kampagne amerikanischen Stils, putzte Türklinken, besuchte die Athener zu Hause, sprach sie auf der Straße an, kurz: Sie tat, was sich Politiker anderer Parteien aus Furcht vor dem Unmut der Bürger schon lange nicht mehr trauen. "Mein Ziel war es, den Bürgern zu zeigen, dass wir einen Wandel brauchen, wenn wir mit unserem Leben nicht zufrieden sind. Dieser unmittelbare Kontakt war unersetzbar", sagt sie.

Angst vor der Wut der Bürger verspürte sie dabei ebenso wenig wie vor den Rechtsradikalen von der Goldenen Morgenröte. Auf Sicherheitsvorkehrungen verzichtet sie trotz der Polarisierung im Land weitgehend. "Das Konzept von Sicherheit ist ohnehin relativ. Niemand fühlt sich wirklich sicherer, wenn er in einem gepanzerten Auto fährt. Das ist doch mehr ein Gefängnis."

Optimismus kommt zu früh

Den versprochenen Wandel nun, wo sie im Amt ist, Realität werden zu lassen ist ein Lackmustest für Syrizas Ambitionen, auch außerhalb Attikas die Geschicke der krisengeschüttelten Hellenen zu leiten. Viel Zeit hat Rena Dourou für dieses Ansinnen nicht. Im Februar soll ein Nachfolger für den greisen Staatspräsidenten Karolos Papoulias gewählt werden. Syriza könnte die Abstimmung im Parlament blockieren und, so das Kalkül, Neuwahlen erzwingen. In Umfragen rangieren die Linksradikalen konstant vor der konservativen Nea Demokratia von Ministerpräsident Antonis Samaras, auch bei den Europawahlen im vergangenen Frühling lagen sie vorne.

Ob Dourous Parolen von sozialer Gerechtigkeit, verbessertem Lebensstandard und bürgernaher Politik dieser Prüfung standhalten, hängt freilich nicht allein von ihr ab. Die Athener Regierung und die Sparvorgaben aus Europa engen den Spielraum der griechischen Provinz beträchtlich ein. Dourou will EU-Gelder von Infrastrukturprojekten in Richtung Sozialprogramme umleiten und die Jugendarbeitslosigkeit mithilfe dieser Subventionen senken. Braucht es in Zeiten der Krise solch unorthodoxe Methoden? "Die EU setzt den Rahmen, wir füllen ihn aus", erklärte sie dem Spiegel.

Während die griechische Regierung das Ende der Krise beschwört, hält Attikas "Mini-Premier" Dourou solcherlei Optimismus für verfrüht. "Dieses Wirtschaftswachstum ist nur ein Trick der Regierungskommunikation. Arbeitslose, Obdachlose und tausende geschlossene Geschäfte in der Athener Innenstadt sind die Realität." (flon, derStandard.at, 20.10.2014)