Die vor drei Wochen von Polizisten in Südmexiko verschleppten 43 Studenten sind nach Aussagen eines Augenzeugen tot. Wie der Mann dem Priester Alejandro Solalinde anvertraute, wurden die bei der Hetzjagd Verletzten nahe der Stadt Iguala im Bundesstaat Guerrero bei lebendigem Leib verbrannt, während die anderen in die Berge gebracht wurden, um sie dort zu exekutieren. An der Tat waren ersten Ermittlungen zufolge Polizisten in Zusammenarbeit mit einem Drogenkartell beteiligt. Den Befehl soll der Bürgermeister von Iguala erteilt haben, der mit dem Kartell kooperiert.

"Der Zeuge fürchtet um sein Leben, und weil die Behörden alle unter einer Decke stecken, traut er sich nicht, ihnen die Wahrheit zu sagen", sagte der für sein Engagement für Migranten und Menschenrechte vielfach ausgezeichnete Solalinde im Gespräch mit dem Standard und der russischen Agentur Ria Novosti. Demnach überschütteten die Täter die Verletzten mit Benzin und zündeten sie an. Ihm erscheine die Version glaubwürdig, denn es sei kaum vorstellbar, dass die Täter mit 43 Studenten durch die Berge irrten, während die halbe Welt Jagd auf sie mache. Außerdem sei bei den armen Angehörigen kein Lösegeld zu erpressen. Die Studenten waren großteils Indigenas und besuchten eine als linksradikal bekannte staatliche Lehramtsanstalt. Am Tag ihrer Entführung sammelten sie Geld und störten dabei offenbar eine Veranstaltung der Ehefrau des Bürgermeisters.

Neue Massengräber

Die Staatsanwaltschaft entdeckte unterdessen sechs neue Massengräber in Guerrero und verstärkte in Zusammenarbeit mit Interpol die Suche nach den Studenten. Wegen des Massakers wurden knapp zwei Dutzend Polizisten und Auftragsmörder festgenommen. Vorige Woche waren nach ihren Aussagen einige Massengräber nahe Iguala entdeckt worden. Die darin gefundenen Leichen waren nicht die der Studenten, gab die Staatsanwaltschaft am Donnerstag nach DNA-Proben bekannt. Präsident Enrique Peña Nieto versprach erneut, die Verantwortlichen würden mit der ganzen Härte des Gesetzes bestraft. Vom flüchtigen Bürgermeister und seiner Frau, die beide vor Gericht noch einen Immunitätsbescheid erwirkt hatten, gab es bis Freitag keine Spur.

Solidaritätskundgebungen

Der Druck auf die Regierung nimmt zu. In vielen Städten fanden Demonstrationen für die Verschleppten statt. Die oppositionelle konservative Partei der Nationalen Aktion (PAN) forderte den Bundesstaat Guerrero auf, alle Staatsgewalten abzusetzen. Guerrero ist der dritte Bundesstaat in einem Jahr, in dem die Verwicklung der Politik mit der Drogenmafia zu einer Krise führt.

Menschenrechtsorganisationen sprechen von einem moralischen Kollaps der Institutionen und forderten eine unabhängige Staatsanwaltschaft und unabhängige Ombudsmänner, die Abschaffung der Immunität für Staatsdiener und eine stärkere Partizipation der Bevölkerung auf Gemeindeebene. Solalinde zufolge ist die Korruption und die gnadenlose Jagd nach Geld und Macht für den Zusammenbruch der Institutionen verantwortlich. (Sandra Weiss aus Puebla, DER STANDARD, 17.10.2014)