Immer noch getrieben von seinen Erlebnissen während des Vietnamkriegs: Ron "Stray Dog" Hall (re.), der zentrale Protagonist von Debra Graniks Dokumentarfilm.

Foto: Viennale

Alte, weißbärtige Kerle in schwarzer Lederkluft knattern auf schweren Maschinen durch den Mittleren Westen der USA. Die Männer sind eine Gemeinschaft. Sie sind nicht nur wegen ihrer Leidenschaft für Harleys miteinander verbunden, sie teilen auch eine Geschichte: Vor mehr als einem halben Jahrhundert hat ihr Land sie in einen Krieg geschickt. Und später fühlten sie sich von ebendiesem Land im Stich gelassen, die längst ergrauten Vietnamveteranen, von denen auch Ron "Stray Dog" Hall einer ist.

Rituale des Erinnerns

Das Gedenken - nicht zuletzt an die für immer Vermissten -, feierliche Zeremonien, Kranzniederlegungen auf Soldatenfriedhöfen, wo alte Männer wackelig in die Knie gehen, oder große Zusammenkünfte mit Festivalcharakter, sind ein wichtiger Teil ihres Lebens. Auf großen Aufnähern steht zum Beispiel: "Die Nation, die ihre Verteidiger vergisst, wird selbst vergessen werden." Und Ron wird die Erinnerungen an den Krieg nicht los - viel zu jung sei er gewesen, um die Entscheidungen zu treffen, die ihn immer noch heimsuchen. Sich selbst zu vergeben, das sei unmöglich.

Früher hat Ron diese Gefühle in Aggressionen umgewandelt. Er sei dauernd wütend gewesen, und dabei nicht glücklich. Heute geht er zum Therapeuten. Und führt mit seiner mexikanischen Frau Alicia so etwas wie ein normales Familienleben. Erst allmählich lässt der Film einfließen, dass dies eine relativ neue Entwicklung ist.

Die 1963 in Cambridge, Massachusetts, geborene US-Regisseurin Debra Granik ist hierzulande vor allem für ihre Spielfilme bekannt: Down to The Bone hieß 2004 ihr Debüt, das eine ungewöhnliche Junkie-Geschichte ungewöhnlich realitätsnah erzählte. Winter's Bone, der nach einer Vorlage von David Woodrell zu einer verschworenen Gemeinschaft in die Ozark Mountains in Missouri führte, brachte Granik unter anderem eine Oscar-Nominierung fürs beste Drehbuch ein. Außerdem rückte er seine bemerkenswerte jugendliche Hauptdarstellerin in den Fokus der Aufmerksamkeit: eine gewisse Jennifer Lawrence, die inzwischen eine der begehrtesten Schauspielerinnen ihrer Generation geworden ist.

Granik interessierte sich also schon immer für gesellschaftliche und topografische Randlagen. Ihren jüngsten Protagonisten und Titelhelden hat sie in einem Wohnwagenpark im südlichen Missouri gefunden - dem "At Ease"-Park, den Ron Hall selbst betreibt und wo noch andere Veteranen wohnen. Stray Dog begleitet Ron in seinem Alltag, zu dem die besagten Rituale des Gedenkens gehören. Granik und die Kamera sehen zu, kommentieren nicht - geben so einmal mehr Einblick in ein spezifisches Milieu.

Die Erfahrungen, die dieses geformt und geprägt haben, machen andere, jüngere Männer und Frauen währenddessen weiter. "Ich hoffe, du hast einen guten Seelenklempner, Bruder", sagt "Straw Dog" einmal, nachdem ein Mann, den Aufnäher als "ExPOW", ehemaligen Kriegsgefangenen, ausweisen, nach einer Schilderung in Tränen ausbricht. "Meiner ist ein Biker. Wir haben also was, das uns verbindet." (Isabella Reicher, DER STANDARD, 17.10.2014)