Die Simulation illustriert die Instabilität des Erdmagnetfelds kurz vor einem Polsprung. Bald könnte es erneut so weit sein.

Foto: Gary A. Glatzmaier / UCSC

Rom/Wien - Normalerweise ist das Magnetfeld der Erde ein stabiler Faktor, der für Hunderttausende von Jahren in seiner Intensität und Ausrichtung unverändert bleibt. Ab und zu jedoch beginnt das Erdmagnetfeld zu schwächeln und zu fluktuieren, um sich schließlich völlig umzukehren. Die Wissenschaft rätselt immer noch, warum das so ist. Man vermutet aber, dass es etwas mit Veränderungen am Motor des Magnetfeldes zu tun hat, dem rotierenden Eisenkern im Inneren unseres Planeten.

Bislang gingen Forscher davon aus, dass derartige Polsprünge eine sehr langfristige Entwicklung darstellen, und es mehrere tausend Jahre dauert, ehe der magnetische Südpol mit seinem Pendant die Plätze tauscht. Nun aber mussten Geowissenschafter feststellen, dass dem nicht immer so ist. Die letzte magnetische Umpolung ging sogar äußerst rasant vor sich: Die sogenannte Brunhes-Matuyama-Umkehr vor rund 780.000 Jahren dauerte allenfalls hundert Jahre, geschah also praktisch im Verlauf eines Menschenlebens.

Indizien dafür fand Leonardo Sagnotti vom Nationalen Institut für Geophysik und Vulkanismus in Rom bei Untersuchungen an jahrtausendealten Lava- und Ascheablagerungen eines urzeitlichen Sees, die im Sulmona-Becken in den Apenninen östlich von Rom zutage treten. Die erstarrte Lava konservierte die Stärke und Ausrichtung des damaligen Magnetfeldes und liefert den Wissenschaftern ein detailliertes geophysikalisches Archiv.

Die Analyse der einzelnen Schichten erbrachte erstmals eine exakte Datierung der Brunhes-Matuyama-Umkehr: Vor ziemlich genau 786.000 Jahren fand der Polsprung statt, was sich mit bisherigen Ergebnissen weitgehend deckt. Was die Wissenschafter allerdings überraschte, war die Geschwindigkeit, mit der er sich vollzogen hat: Innerhalb von weniger als hundert Jahren hatte sich die magnetische Ausrichtung umgekehrt, und zwar ohne Übergangsphase oder Zwischenstadien, wie Sagnotti und sein internationales Forscherteam in der aktuellen Ausgabe des "Geophysical Journal International" berichten.

Polsprung steht bevor

Ob ähnlich schnelle Polsprünge auch in Zukunft passieren könnten, lassen die Forscher offen. Klar ist aber, dass sich das Magnetfeld der Erde derzeit wieder in einer instabilen Phase befindet: Eine markante Abschwächung der magnetischen Intensität und eine Verschiebung der Magnetfeldachse um rund 500 Kilometer gegen die Rotationsachse der Erde in den vergangenen 200 Jahren deuten darauf hin, dass eine neuerliche Polumkehr unmittelbar bevorsteht - also innerhalb der nächsten 1000 Jahre.

Was aber hätte dies für Auswirkungen auf die menschliche Zivilisation, so es dann noch eine geben sollte? Bislang sind keine Belege bekannt, die in der Vergangenheit auf Katastrophen durch Polsprünge hindeuten würden. Die Wissenschafter vermuten aber, dass eine Polumkehr heute durchaus schwerwiegende Probleme für moderne Stromnetze bedeuten würde, bis hin zu einem globalen Totalausfall. Darüber hinaus könnte ein Verlust des Schutzschildes gegen kosmische und solare Strahlung zu einem massiven Anstieg von Krebsfällen führen, befürchten die Forscher. (Thomas Bergmayr, DER STANDARD, 16.10.2014)