Differenzen bleiben, doch es gibt Anknüpfungspunkte für ein Auftauen der eingefrorenen Partnerschaft: Als Russlands Außenminister Sergej Lawrow bei der Begrüßung seinen amerikanischen Amtskollegen John Kerry freundschaftlich am Arm zupfte, oder später, als sie am vergangenen Dienstag auf einer Parkbank der US-Botschaft in Paris im gelösten Tête-à-Tête beisammensaßen, schienen die gegenseitigen harten Vorwürfe und Anfeindungen, die die beiden Großmächte seit Monaten austauschen, vergessen.
Die Bilder mögen gestellt sein; doch das gute Verhältnis der beiden Diplomaten ist echt, ebenso wie die Suche nach Gemeinsamkeiten. Es gebe eine ganze Reihe von politischen Herausforderungen, wo Washington und Moskau enger zusammenarbeiten könnten. "Das betrifft vor allem den Kampf gegen den Terrorismus, der heute zur Hauptbedrohung für einen Großteil des Nahen Ostens wird, sowie den Kampf mit der Ebola-Seuche", sagte Lawrow.
Gemeinsam in der Verantwortung
Die militärischen Erfolge der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) in Syrien und im Irak haben die Kontrahenten wieder zusammengeführt. Bei der Extremistenbekämpfung ständen Russland und die USA gemeinsam in der Verantwortung, pflichtete Kerry Lawrow bei. "Wir beide erkennen die Notwendigkeit, die IS zu zerstören und zu besiegen", sagte er.
Allein wird Washington mit den Jihad-Kämpfern nicht fertig, das weiß man im Weißen Haus. Präsident Barack Obama baut an einer internationalen Militärkoalition. Zumindest politische Unterstützung aus Moskau braucht Obama allerdings auch. Russland ist nicht nur UN-Sicherheitsratsmitglied, sondern traditioneller Verbündeter vieler Nahostländer.
Russland seinerseits ist bereits von den IS-Kämpfern per Videobotschaft an seine kaukasische Achillesferse erinnert worden. Rund 500 russische Bürger sollen für die IS kämpfen. Ihre Rückkehr nach Russland ist ein potenzieller Destabilisierungsfaktor.
Austausch der Geheimdienste
Ein verbesserter Informationsaustausch zwischen den Geheimdiensten soll die Bekämpfung der IS effizienter gestalten. Russlands Agentennetz in der Region gilt nicht zuletzt wegen der langjährigen Verbindung zum Assad-Regime als hochwertig. Zudem erwägt Russland, sich an der Ausbildung und Bewaffnung irakischer Regierungstruppen zu beteiligen. Dass Russland auch der Militärallianz beitritt, ist allerdings unwahrscheinlich.
In Paris verzichtete Lawrow darauf, Russlands Vorwürfe - die USA hätten die islamistische Gefahr durch die Unterstützung der Rebellen in Syrien selbst erzeugt - zu wiederholen. Als Gegenleistung hofft der Kreml darauf, durch das Zweckbündnis seine eigene politische Isolation zu durchbrechen.
Anzeichen dafür gibt es: Lawrow nannte das Treffen "nützlich". Zwar liegen die Positionen Moskaus und Washingtons in der Ukraine-Frage weiterhin deutlich auseinander, doch die Tonlage hat sich beruhigt. Kerry bescheinigte Russland mit der Bestätigung des Truppenabzugs aus der Grenzregion guten Willen. Zudem verpflichteten sich beide Politiker, auf die Einhaltung der Waffenstillstandsvereinbarungen von Minsk hinzuwirken. (André Ballin aus Moskau, DER STANDARD, 16.10.2014)