Very British: Vice-Chairman Helen Barbour in einer klassischen Wachsjacke aus dem Hause Barbour

Foto: Barbour

Helen Barbour, fünfte Generation Barbour, sitzt mit Pullover und ins Haar hochgeschobener Lesebrille in einem simplen Besprechungsraum ihres Familienunternehmens und bittet zum Interview. So unkompliziert der weibliche Vice-Chairman und zugleich das Gesicht des Labels wirkt, so unaufgeregt ist auch die Location: Wer den Hersteller der legendären Wachsjacken an einem pompösen englischen Landsitz vermutet, irrt. Das Label sitzt samt Produktion in einem Wellblechgebäude im Nordosten Englands in der Hafenstadt South Shields. Nur die drei Kronen, die an der Wand hinter der Empfangsdame prangen, erinnern daran, dass Barbour Hoflieferant des englischen Königshauses ist.

Die Szene passt zur bodenständigen Grundidee der Marke, praktische, alltagstaugliche und vor allem wasserdichte Kleidung zu produzieren, die dem rauen englischen Klima standhält. Helens Ururgroßvater John hat die Jacken vor 120 Jahren für Fischer, Hafenarbeiter und Seeleute entwickelt. In den 1980ern entwarf Helens Mutter, Dame Margaret Barbour, drei Modelle, für die die Marke heute noch bekannt ist: Bedale, Beaufort und Border Jacket.

Kleidungsstücke, wie gemacht für Jäger, Farmer und Dockarbeiter. Sogar die englische U-Boot-Besatzung trug ein Modell im Krieg. Olivgrüner widerspenstiger Stoff, brauner Schnürlsamtkragen, Schwergewicht und jede Menge öliges, riechendes Wachs fallen einem da ein - mit einem etwas verstaubten Beigeschmack. Doch in den vergangenen zehn Jahren erlebte die britische Traditionsmarke überraschende Hypes.

Ein Bild aus der aktuellen Barbour-Kollektion von dem britischen Designer Christopher Ræburn.
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STANDARD: Die Marke erlebt einen Wandel von der praktischen Outdoor-Jacke zum Lifestyle-Produkt. War das geplant?

Barbour: Wir haben das nicht geplant, sondern es passierte ganz von allein. Die Leute haben irgendwann in den 1980ern angefangen, unsere Sachen auch abseits von schlechten Wetterbedingungen und Outdoor-Aktivitäten zu tragen, um damit in die Stadt und ins Pub zu gehen.

STANDARD: Wie haben Sie darauf reagiert?

Barbour: Wir haben zunächst angefangen, auch blaue Jacken zu entwickeln und den Schnitt ein wenig zu ändern. Sie sollten einfach ein bisschen schicker sein. Wir haben nie beschlossen, unser Image zu ändern.

STANDARD: Wie erklären Sie das Phänomen, dass die traditionelle Wachsjacke plötzlich hip ist?

Barbour: Das ist purer Zufall. Einige Prominente haben bei öffentlichen Events Jacken von uns getragen, einfach weil es kalt war und geregnet hat. Dann hat dieser Modehype um Barbour angefangen.

STANDARD: Ihre Mutter hat einmal gesagt, dass es ihr Angst mache, wenn die Jacke zum Modetrend wird.

Barbour: Weil ein Fashion-Label viel schwieriger zu managen ist. Wir waren zufrieden mit dem, was wir machten - praktische wetterfeste Kleidung. In den 1990ern waren die Zeiten aber hart, auch weil die Hightech-Materialien aufkamen. Wir mussten etwas tun. Es gibt jetzt zwar auch Strickware, Shirts, Schuhe und Accessoires, aber wir behalten immer die ländliche Umgebung im Hinterkopf.

Das "Durham Jacket" von 1982 im Military Stil.
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Ein kleiner Exkurs: Als Teile des Bondfilms Skyfall in England gedreht wurden, hatten die Barbours plötzlich die Produzenten am Telefon: Daniel Craig brauchte dringend eine Barbour für seine Stunts. Mehrere Dutzend Exemplare der vom japanischen Designer Tokihito Yoshida abgewandelten "Beacon Heritage Sports Jacket", wechselten daraufhin zum Dreh. Ein Glücksfall, denn die Nachfrage stieg nach dem Kinostart in die Höhe. Auch das legendäre Glastonbury-Festival hat unerwartet dazu beigetragen, dass die Traditionsmarke, die die Queen gerne trägt, in der Beliebtheitsskala der Jungen stieg. Der Arctic-Monkeys-Sänger Alex Turner eröffnete ein Konzert in einer Wachsjacke, und Lily Allen, It-Girl Alexa Chung und Peaches Geldof trugen eine. In Österreich hat Barbour dagegen ein anderes Image ...

STANDARD: In Österreich tragen Menschen gerne Barbour, denen der Ruf anhaftet, Snobs zu sein.

Barbour: Das habe ich schon öfter gehört. In England haben wir dieses Phänomen nicht, zumindest nicht jetzt. Vergleichbares passierte hier in den 1980er-Jahren, als die sogenannten Sloane Rangers unsere Jacken trugen. Das waren junge Studenten aus wohlhabenden Familien, die einen speziellen Kleidungsstil pflegten - mit Lady Diana Spencer als Leitfigur.

STANDARD: Transportieren Sie ein elitäres, konservatives Image?

Barbour: Nicht, dass ich wüsste. Ihr in Österreich seid damit zwanzig Jahre hinten. Unsere saisonalen Kollektionen haben seit 2000 vier verschiedene Segmente: Sporting, Heritage, Classic und Lifestyle. Letztere sind zugegeben ein wenig konservativ, aber nicht langweilig. Und unser separates Label, Barbour International, das auf unserer Geschichte als Hersteller von Motorradkleidung basiert, schon gar nicht.

STANDARD: Erst 2003 wurde die erste richtige Barbour-Damenkollektion eingeführt, obwohl hinter dem Haus jede Menge Girlpower steckt.

Barbour: Als die ersten Jacken um 1900 produziert wurden, hatten die Frauen nicht einmal das Wahlrecht. Und unsere Mode war nicht im Entferntesten feminin. Barbour stand dafür, Männer bei der Arbeit vor Wind und Wetter zu schützen. Wollten Damen eine Barbour-Jacke griffen sie einfach zur kleinsten Größe. Erst in den vergangenen zehn Jahren fingen wir an, die Schnitte taillierter zu machen. Dass unser Unternehmen in Frauenhand ist, hat mit traurigen familiären Umständen zu tun, die von uns verlangen, stark zu sein.

Ein Bild aus einem der ersten Barbour-Kataloge.
Foto: Barbour

STANDARD: Barbour hat einen Women's Fund gegründet, um Frauen in der Region zu fördern. Würden Sie sich selbst als Feministin bezeichnen?

Barbour: Für mich gibt es heutzutage keinen Feminismus mehr. Ich bezeichne mich als rational denkendes menschliches Wesen, für das es ganz normal ist, dass Frauen und Männer dieselben Rechte haben.

STANDARD: Ihre Mutter hat das Familienunternehmen als Chairman noch immer fest in der Hand. Wie gehen Sie damit um?

Barbour: Ich bin daran gewöhnt, für mich ist das keine große Sache. Irgendwann, wenn meine Mutter sich zurückzieht, werde ich das Unternehmen übernehmen. Das ist kein Druck für mich.

STANDARD: Ist es schwierig für Sie, Ihre Ideen durchzusetzen?

Barbour: Nein. Meine Mutter hat die Jacken zwar lange selbst designt, aber wenn ich etwas will, setze ich es durch. Ich wollte die Jagdkollektion neu designen, weil ich sie zwar zweckmäßig und hochwertig, aber nicht attraktiv fand. Das habe ich dann auch gemacht, genauso wie eine Jacke zum Gassigehen.

Exkurs Nummer zwei: Barbour-Jacken sind zwar langlebig, dürfen aber nicht in die Waschmaschine. Zur Reinigung, Reparatur oder zum Wachsen müssen sie zum Kundenservice. Er ist das Heiligtum des Firmenhauptsitzes und liegt ganz hinten am Ende der Produktion, wo hunderte Nähmaschinen rattern. Nur die erfahrensten Mitarbeiter arbeiten dort. In den Jackentaschen finden sie mitunter die sonderbarsten Dinge, wie einen Schlüssel des St. James Palace oder die Zähne eines Fuchses. Oft schicken Kunden erklärende Worte oder Fotos von zerstörerischen Hunden mit den kaputten Stücken mit, erzählt eine Barbour-Mitarbeiterin. Als einmal die alte Barbour-Jacke der Queen eine Reparatur brauchte, bestand sie darauf, sie wiederzubekommen, auf eine neue ließ sie sich nicht ein. Wie die Queen geht auch Helen Barbour gerne auf die Jagd ...

STANDARD: Zur Inspiration für das Design der Jagdjacke fingen Sie an, selbst auf die Pirsch zu gehen. Stimmt es, dass Sie Vögel ausstopfen und ihnen Namen geben?

Barbour: Es stimmt. Ich stopfe das erste erlegte Exemplar jeder Art aus. Da ist etwa Simon, das Rebhuhn, benannt nach meinem Jagdlehrer.

STANDARD: Sehr respektvoll gegenüber den Vögeln ist das nicht ...

Barbour: Da gebe ich Ihnen recht, Jäger sollten erlegte Tiere essen. Ich gehe aber nicht herum und schieße zum Spaß Vögel ab. Im Gegenteil, ich gebe ihnen nur Namen von für mich wichtigen Menschen. Momentan lagern noch Claire und Angie im Gefrierschrank. (Marietta Adenberger, Rondo, DER STANDARD, 17.10.2014)

Aus einem alten Katalog.
Foto: Barbour