An dieser Stelle von Prince Edward Island im Osten Kanadas kann eine Art von Zitherklang ertönen. Seltener sind Sanddünen, die so laut wie galoppierende Pferde oder rollender Donner werden können.

Foto: Bernadette Calonego

Es gibt Sande, die singen, pfeifen, bellen oder wie Glocken klingen. Solche "Singing Sands" sind auch auf Karten von Prince Edward Island eingezeichnet, einer Insel im Osten Kanadas. Für Besucher, die nichts Besonderes hören, haben Einheimische einen Tipp, nämlich über den Sand zu schlurfen und die Schuhe nachzuziehen. Und tatsächlich: Mit einem Mal ist ein Ton zu hören, der an Zitherklänge erinnert.

In Nordamerika sind singende Sande nicht nur an der Atlantikküste zu finden, sondern auch an Seen wie dem Lake Superior. Auf den britischen Inseln soll es 33 Strände mit singenden Sanden geben. Auch in England und Wales findet man musikalische Sande. Und Marco Polo beschrieb bereits im 13. Jahrhundert die seltsamen Laute der Sanddünen in der Wüste, die er bösen Mächten zuschrieb.

Video: Geräuschvolles Schlurfen am Singing Sands Beach auf Prince Edward Island. Was den Sand zum Klingen bringt, darüber sind sich die Wissenschafter noch immer nicht einig.
Ron Porteous

Sandige Voraussetzungen

Aber noch heute, 700 Jahre später, sind sich die Wissenschafter uneins, was manche Sande singen lässt, während andere stumm bleiben. Drei Faktoren scheinen eine wichtige Rolle zu spielen. "Die Sandkörner müssen rund und glatt sein", sagt die Physikerin Nathalie Vriend von der Universität Cambridge, "und ziemlich gleich in der Größe: Die singenden Sandkörner, die ich untersuchte, hatten einen Durchmesser von 0,15 und 0,35 Millimetern." Zudem muss der Sand Siliziumdioxid (etwa Quarz oder Kieselerde) enthalten und recht trocken sein.

"Nach meiner Erfahrung kommt das Singen vorrangig im höher gelegenen Teil des Strandes und in trockenem Sand vor", sagt Orrin Pilkey, ein pensionierter Geologieprofessor von der Duke-Universität im US-Bundesstaat North Carolina. Ein weiterer günstiger Faktor: je weniger Fremd- und Schadstoffe im Sand, umso eher singt er.

Das Phänomen "bellender" Sanddünen, die so laut wie Trommelwirbel, galoppierende Pferde oder rollender Donner klingen können, ist dagegen seltener. "Wir kennen rund vierzig Standorte", sagt Vriend, "aber es gibt wahrscheinlich mehr in unentdeckten Ecken der Erde." Solche Dünen findet man etwa in der Mojave-Wüste und im Death Valley National Park in den US-Staaten Kalifornien und Nevada, in Dunhuang in China oder im Südsinai in Ägypten.

Vriend studierte singende Sanddünen, während sie am Caltech in Pasadena forschte. Während einer Sandlawine, sagt sie, rutsche eine kleine Schicht von Sandkörnern die Düne hinunter. Die Körner würden dabei ständig aneinanderstoßen und so zu einem sanften Dröhnen führen. "Wenn die Düne trocken genug ist und die richtigen Proportionen hat", sagt Vries, "kann eine Sandschicht im Inneren diese reine dröhnende Frequenz aufnehmen und den Ton derart verstärken, dass er noch Kilometer entfernt hörbar ist."

Über den genauen Mechanismus, der das Phänomen auslöst, haben die Forscher bis heute indes unterschiedliche Theorien. Manche glauben, der Ton werde von abrutschenden Sandlawinen auf steilen Dünenflanken erzeugt. Andere glauben, dass die Laute durch die Bewegungen der einzelnen Körner innerhalb der Lawine entstehen.

Zwei französische Physiker, Bruno Andreotti und Stéphane Douady, die zusammen das Geheimnis der singenden Sande knacken wollten, zerstritten sich vor dreizehn Jahren darüber. Laut einem Artikel im Fachblatt Physics World stellte Douady fest, dass sich manche der Sandkörner synchron bewegen müssen, um Töne zu erzeugen. Er nahm an, dass Luft zwischen diesen Sandkörnern das Singen erzeugt.

Wie Dünen wirklich dröhnen

Andreotti führte die Laute dagegen auf das Vibrieren der Luft an der Oberfläche der Sandlawine zurück - wie die Membran eines potenten Lautsprechers. Das leuchtete Douady schließlich ein, aber die beiden wurden sich nicht einig, was die Sandkörner zu einer synchronen Bewegung führt. Und so geht die Kontroverse weiter.

Für Nichtexperten ist ein Rutsch von einer dröhnenden Düne Faszination genug. "Ich sage den Leuten immer, was sie beim ersten Mal erwartet", sagt Vriend, "aber wenn die ganze Düne und ihre Körper zu beben anfangen, schreien sie dann doch immer wieder: Du meine Güte!" (Bernadette Calonego aus Vancouver, DER STANDARD, 15.10.2014)