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Skipisten im Herbst sind meist kein schöner Anblick. Verdichteter und toter Boden ist die Kehrseite des Alpinspaßes.

Foto: APA/dpa/Jan Woitas

Innsbruck/Birmensdorf - Dem Laien fällt es oft nicht auf. Die Flächen sind meist grün, bewachsen mit Gras und Klee oder buschigem Gestrüpp. Nur selten zeigt sich der nackte Untergrund. Und doch sind Bodenschäden in den Alpen heute weitverbreitet. Im forstwirtschaftlichen Bereich kommen vermehrt schwere Maschinen zum Einsatz, und den Skifahrern zuliebe wurden inzwischen tausende Schneisen durch die Landschaft gezogen. Die Folgen: Erosion, verdichteter Boden und eine Vegetation, die nicht mehr richtig wächst. Regen und Schmelzwasser rinnen schneller ab, wodurch die Hochwassergefahr steigt. Auch Murenabgänge können - zu einer häufig unterschätzten - Gefahr werden.

Durcheinander in der Erde

Das Problem ist überaus kompliziert, wie der Ökologe Christian Newesely von der Universität Innsbruck im Gespräch mit dem Standard sagt. Je nach Ort, Bodenbeschaffenheit und Höhenlage haben die menschlichen Eingriffe sehr unterschiedliche Folgen. Besonders drastisch seien diese in den Wintersportgebieten, so der Wissenschafter. "Die Skipisten sind in den meisten Fällen planiert, da kann man sowieso nicht mehr von Böden sprechen." Das Ergebnis solcher Erdarbeiten bezeichnen Fachleute als "Pistenkolluvium". Das lateinische Wort "colluvium" bedeutet "das Zusammengeschwemmte". Newesely nennt es schlicht "ein Durcheinander". Die natürliche Schichtung ist dort an vielen Stellen vollkommen zerstört.

Am schlimmsten sind die Verheerungen in den höchsten Gefilden. Dort bleiben nach Pistenplanierung nur Schotterflächen. Dort, meint Newesely, wird sich der typische Bewuchs aus Gräsern und Kräutern in den kommenden Jahrhunderten wohl nicht mehr erholen. "Auf was sollen die Pflanzen denn wachsen, wenn es keinen Boden mehr gibt?"

Die an Höhenklima und kahlen Pionierstandorten angepassten Arten gedeihen zudem extrem langsam. Die Krumm-Segge (Carex curvula) zum Beispiel bildet sogenannte Horste. Bis ein solches Polster eine Fläche von einem Quadratmeter überwachsen hat, braucht es circa 400 Jahre, sagt Newesely. Nachhelfen kann man nicht. Die heutige Hochgebirgsvegetation habe sich über den gesamten Zeitraum seit Ende der letzten Eiszeit gebildet, erläutert der Innsbrucker Forscher. Was weg ist, bleibt weg.

Besser sieht es in den tieferen Lagen unterhalb der Baumgrenze aus: Hier verläuft der natürliche Vegetationsaufbau deutlich schneller. Offene Flächen und Hänge werden rasch besiedelt, auch von jungen Bäumen und ohne menschliches Zutun. "Fichten kommen von selbst daher", sagt Newesely. Auf verdichteten Böden gedeihen sie jedoch langsamer. Die Neigung des Geländes darf nicht zu steil sein, sonst behindert regelmäßiges Schneegleiten den Neubewuchs.

In solchen Fällen haben nur schnellwüchsige und tief wurzelnde Baumarten eine Chance. Eine davon ist Alnus glutinosa, die Schwarzerle. Botanikern gilt sie als besonders zähes Gewächs, das gerne an schwierigen Standorten Wurzeln schlägt. Newesely berichtet von einer aufgegebenen Skipiste im Wald bei Brennerbad auf der Südseite des gleichnamigen Passes. Die Schneise sei mittlerweile komplett mit Schwarzerlen zugewachsen.

Ein Schweizer Expertenteam hat die besonderen Fähigkeiten des Baumes in einem Feldversuch getestet: Die Wissenschafter pflanzten Jungerlen in ein stark geschädigtes Waldstück im Kanton Solothurn. Das Areal war 1999 schwer vom Orkan Lothar getroffen worden. Um einer potenziellen Forstschädlingsplage vorzubeugen, hatte man die umgestürzten Bäume schnellstens mit schwerem Gerät entfernt, zum Teil ohne Rücksicht auf Verluste.

"Man muss sich das wie eine Baustelle vorstellen", sagt Christine Meyer von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) in Birmensdorf. Die Maschinen hinterließen tiefe Spuren mit stark verdichtetem Boden, eine kleine ökologische Katastrophe.

Die Erlen sollten Abhilfe schaffen. In einem Teil der entstandenen Rinnen wurden zwei Jahre alte Setzlinge eingepflanzt. Die Hälfte der neu bepflanzten Spuren füllte man zusätzlich mit Kompost auf, andere blieben zur Kontrolle unbehandelt. Danach durften die Bäumchen wachsen. Sieben Jahre später kehrten die WSL-Forscher zur Probenahme zurück und stellten erfreut fest, dass ihr Plan aufgegangen war: Dort, wo Jungerlen standen, war der Boden mittlerweile deutlich weniger dicht - vor allem in den zusätzlich mit Kompost versorgten Rinnen. Der Unterschied war messbar.

Bodensanierung mit Bäumen

Am stärksten aber hatte sich die Luftdurchlässigkeit verbessert. Dieser Effekt ließ sich sogar in bis zu 70 Zentimeter Tiefe nachweisen. Offensichtlich hatten die Erlenwurzeln den Untergrund kräftig aufgelockert. Die detaillierten Untersuchungsergebnisse wurden heuer im Fachjournal Soil and Tillage Research publiziert.

Der getestete Ansatz bietet gute Perspektiven für die Praxis. "Die Schwarzerle ist eine Spezialistin für widrige Bedingungen", betont Meyer. Dementsprechend ließe sich der Baum an vielen Standorten zur Bodensanierung einsetzen. Staunässe und Sauerstoffmangel im Wurzelbereich schaden den Bäumen nicht. Durch Symbiose mit Knöllchenbakterien vermag sich die Schwarzerle selbst mit Stickstoff zu versorgen. Die Zugabe von Kompost, sagt Meyer, beschleunige in diesem Fall dennoch das Wachstum und dadurch die Erholung des Bodens. Abgesehen davon werden so auch die Lebensbedingungen für Mikroorganismen und Würmer verbessert.

Vielen Skipisten in tieferen Lagen droht infolge des Klimawandels womöglich bald das Aus. Mangels Schnees dürften sie zukünftig nicht mehr rentabel sein. Der robusten Schwarzerle könnte das viele potenzielle Einsatzgebiete bringen. Sie könnte den verdichteten Untergrund relativ rasch aufwerten. Je nach Bodenaufbau und Stärke der Schäden ist eine weitgehende Regeneration wahrscheinlich in zehn bis 15 Jahren möglich, glaubt Meyer. (Kurt de Swaaf, DER STANDARD, 15.10.2014)