Viele Menschen können sich das Leben in New York nicht mehr leisten, selbst eine Garconniere ist kaum unter 1.500 Dollar zu haben.

Foto: Julia Herrnböck

Arthur ist einer von ihnen, er sitzt jeden Tag auf der Wall Street.

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Unter Bill de Blasio, seit Jahresbeginn im Amt, ist die Anzahl der Obdachlosen in der Millionenmetropole um weitere sechs Prozent gestiegen.

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Aufgabe #5: I thought you could explore homelessness in the city. Under Mayor Bloomberg, the city was notorious for increasing the income gap."

Arthur sitzt jeden Morgen an der gleichen Stelle der Wall Street auf dem Weg zu meinem Büro. Er hält ein Pappschild zwischen den Beinen. Die Worte "Please help" sind unterstrichen. Arthur blickt meist zu Boden, während die Passanten – Touristen und Geschäftsleute – an ihm vorbeihuschen. Nur wenige beachten ihn.

Wenn er doch einmal ein paar Münzen und seltener einen Dollarschein zugesteckt bekommt, hebt sich sein Kopf und er sieht den Spendern ins Gesicht. "Thank you for helping", sagt er mit klarer Stimme, "bless you and have a good day."

Arthur sitzt nicht alleine hier an der Wall Street, er hat Konkurrenz. Links und rechts von ihm sitzen immer einige junge Männer, die Schuhe polieren. Wenn es am Abend dämmert, hüllen sie sich in alte Decken und Schlafsäcke neben den U-Bahnabgängen zusammen.

Michael Bloomberg, bis Ende 2013 Bürgermeister von New York, mag die Einkommensschere vergrößert haben. Unter Bill de Blasio, seit Jahresbeginn im Amt, ist die Anzahl der Obdachlosen in der Millionenmetropole um weitere sechs Prozent gestiegen, gab die Stadtverwaltung Ende August bekannt. Das sei eine Folge der unleistbaren Wohnungen, die sich unter Bloomberg entwickelt hätten, verteidigte sich de Blasio. Selbst eine Garconniere ist kaum unter 1500 Dollar zu haben.

I’m sure you’ve encountered homeless people already, on the subway or the streets. What are your thoughts when you see so many?

Erschreckend finde ich besonders den Anteil der Kinder auf der Straße: etwa 23.000 Kinder sind laut dem Bericht unter den rund 55.000 Menschen, die jede Nacht Notschlafstellen New Yorks aufsuchen. Sichtbar sind jedoch vor allem Männer. Wie viele Menschen tatsächlich kein Dach über dem Kopf haben, ist unbekannt: wer auf der Straße schläft, auf den Treppen einer Kirche, in Busbahnhöfen oder Lagerhallen, wird auch nicht erfasst – so wie Arthur. In den Notschlafstellen sei es gefährlich, sagt er. Er vermeide sie.

Vor eineinhalb Jahren habe er seinen Job als Assistent bei einer Kanzlei verloren, die sei in den Konkurs geschlittert. "Ich habe meinen Lebenslauf an dutzende Firmen geschickt, ich bin qualifiziert und erfahren, aber anscheinend zu alt. Ich habe keine einzige Antwort bekommen", erzählt der heute 45-Jährige. Arthur lebte mit seiner Mutter in einem Haus in Staten Island. Sie starb plötzlich, hinterließ kein Testament.

Er konnte die Strom- und Gasrechnungen nicht mehr bezahlen und auch keinen Anwalt, der ihn als Erbe einträgt. Es sei einfach zu viel geworden. In seinen Erzählungen schwingt Resignation mit.

Wohin als nächstes, wenn der Winter kommt? "Ich weiß es nicht. Ich sollte mich für Sozialhilfe bewerben, aber sie behandeln dich dort, als wärst absichtlich auf der Straße gelandet", meint er. Hilfe vom Staat oder den Steuerzahlern annehmen komme in Amerika dem Versagen gleich, beschreibt Arthur das Stigma.

Vor den Suppenküchen der Stadt bilden sich morgens und mittags lange Schlangen. Viele der Bedürftigen hätten Monate hinter sich, in denen sie verzweifelt versucht haben ohne Hilfe durchzukommen, erzählt eine Frau, die ehrenamtlich in einer Kirche Essen verteilt. Der Druck alleine für sich zu sorgen sei groß in den USA.

Most importantly, what do you think of New Yorkers‘ attitude towards the homeless?

"Die meisten tun so, als würden sie mich nicht sehen", sagt Arthur. "Aber so ist das eben, wenn du nicht in der Situation bist, sie meinen es nicht böse." Wie er denn selbst auf die Bitten Obdachloser reagiert habe, als er noch einen Job und ein Haus hatte? Arthur denkt nach. "Ich habe es wohl genauso gemacht und bin vorbei gegangen. Du glaubst einfach nicht, dass dir das passieren kann."

In der U-Bahn steigen manchmal Passanten ein, die um Hilfe bitten. "Ich will das betonen – ich bin nicht obdachlos, aber ich habe solche Angst davor", weint ein Mann. "Helfen Sie mir." Seine Stimme zittert. Ein paar Touristen zücken ihre Geldbörsen, die geschäftigen New York zücken ihre Smartphones.

Bürgermeister de Blasio hat seit Amtsantritt drei neue Notschlafstellen eröffnet, davon eine in Elmhurst, einer klassischen Mittelschichtgegend in Queens. Statt wie geplant 24 Familien dort zu beherbergen, leben heute 648 Menschen aus 180 Familien in dem ehemaligen Hotel. Die Anrainer protestieren massiv gegen die Einrichtung und fordern, dass sie aus ihrem Stadtteil verlegt wird. Zu groß ist die Angst vor Kriminalität. So reagieren die Menschen allerorts in New York, wo die Stadt Obdachlosenunterkünfte errichten möchte.

John, ein Architekt, erzählte mir, dass er an einem sozialen Wohnbauprojekt mitgewirkt hat. "Wir haben Wohnungen im gleichen Haus für geringe und mittlere Einkommen geplant – und mussten einen eigenen Eingang für die ärmeren Bewohner bauen." (Julia Herrnböck, derStandard.at, 14.10.2014)