Helmut Kohl hatte ein ziemlich enges Verhältnis zu Österreich. Das hatte seine Vorteile: Als die EU-Beitrittsverhandlungen in einer nächtlichen Brüsseler Sackgasse steckten, bat man ihn um Hilfe, und er machte wirklich Druck. Das hatte aber auch einen nicht ganz angenehmen, patronisierenden Aspekt. Als Bundespräsident Thomas Klestil meinte, der Weg Österreichs in die EU führe (auch) über Paris, war Kohl äußerst erbost. Wann immer er mit österreichischen Journalisten zusammenkam, und das war relativ oft, verbreitete er sich zwar über die deutsch-österreichische Freundschaft, ließ aber immer einen starken Zug von Bevormundung und Herablassung durchschimmern. Er betrachtete Österreich mehr oder weniger als unsicheren Kantonisten, dem der große Bruder von Zeit zu Zeit mal zeigen musste, wo es langgeht.

Die abfälligen Bemerkungen Kohls über alles und jeden, die nun ein Biograf - mit dem er sich auch überworfen hat - veröffentlicht, klingen durchaus authentisch. Wenn er über Kurt Waldheim sagt, der wäre "zu feige gewesen, um unanständig zu sein" (um Kriegsverbrechen begangen zu haben), und er sei daher ein Opfer der Medien, so ist das ein typischer Kohl: noch in der Verteidigung abwertend.

Kohl hat trotzdem in der deutschen Einigung eine ungeheure Leistung vollbracht. Aber es zeigt sich wieder, dass auch große Männer ziemlich kleingeistig sein können. (Hans Rauscher, DER STANDARD, 14.10.2014)