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Sich Falten wegwünschen: In Seoul ist die Auswahl an Schönheitschirurgen riesig. Viele von ihnen haben Kliniken rund um den U-Bahnhof Apgujeong, die Gegend dort wird "Beauty Belt" genannt.

Foto: Corbis/© Plush Studios/Blend Images/Corbis

Nur wenige Monate dauert es, und Lee Joons Arbeitsweg hat sich von Grund auf verändert. In weiten Schritten hastet der Koreaner über den Gehweg, sein linker Zeigefinger klappert im Vorbeigehen die siebenstöckigen Betonklötze ab, die die Straße zu beiden Seiten säumen: "Dort sind die Spezialisten für Nasen-OPs, daneben sind die Chirurgen vor allem für ihre Kiefereingriffe bekannt." Nach fünf Minuten Fußmarsch hat er mehr als 400 Schönheitskliniken passiert, doch nur die wenigsten werden sich länger als ein halbes Jahr halten können. Lee kennt sie trotzdem alle. Sein Job ist es, die Spreu vom Weizen zu trennen.

Als Marketingchef arbeitet er für Seoul Touchup, eine Reiseagentur der besonderen Art: Ausländer, die sich in Seoul liften lassen wollen, bekommen von Lees Firma einen Chauffeur organisiert, die passende Klinik vermittelt, bei Bedarf einen Übersetzer an die Seite gestellt und ein Hotelzimmer gebucht – all-inclusive sozusagen.

"Wenn unsere Patienten wieder nach Hause kommen, haben sie nicht nur eine fremde Kultur kennengelernt, sondern sich auch einen neuen Look verpasst", erklärt der Kanadier Kevin Noortwyck das Geschäftsmodell. Als Manager ist er für das Auslandsgeschäft der JK Plastic Clinic zuständig, dessen zwölfköpfiges Chirurgenteam bereits zu einem Großteil eingereiste Patienten aus den Nachbarländern operiert. Medical Tourism ist einer der rasant wachsenden Wirtschaftszweige des Landes, vor allem dank der boomenden Schönheitschirurgie.

Schönheitstourismus

2013 sind knapp 16.000 Ausländer nach Korea gereist, um sich ein neues Aussehen zuzulegen, das sind bereits 70 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Die Regierung rechnet damit, dass die rasanten Wachstumsraten auch die nächsten Jahre nicht abebben werden. Manch 20.000 neue Jobs möchte sie durch das Geschäft mit den ausländischen Patienten kreieren. Der potenzielle Markt ist unerschöpflich: Fast zwei Drittel aller Schönheitspatienten kommen aus China.

Dass diese extra nach Korea reisen, hat einen simplen Grund: Das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt. "In Asien hat längst niemand mehr Zweifel daran, dass die koreanischen Chirurgen die besten sind", sagt Lee. Dies sei nur logisch, denn ihren Kollegen aus anderen Ländern hätten sie schließlich eine Menge Erfahrung voraus.

Nirgendwo werden mehr Nasen gerichtet, künstliche Augenlider geschnitten und Kiefer verkleinert als in Südkorea. Allein 2011 wurden rund 650.000 Eingriffe verzeichnet, laut der in Paris ansässigen Vereinigung plastischer Chirurgen und Dermatologen sind das ein Fünftel aller weltweit durchgeführten Schönheitsoperationen. In einer Umfrage in Seoul gab eine von fünf Frauen unter 50 an, sich schon einmal unters Messer gelegt zu haben. Bei solchen Zahlen muss Lee Joon schmunzeln: "Eher eine von fünf, die es nicht gemacht hat." Ironisch klingt das nicht.

Eine Nase zur Matura

Ihm sei es wichtig, mit ein paar Missverständnissen aufzuräumen: Koreanerinnen würden mitnichten einem westlichen Schönheitsideal nacheifern, und schon gar nicht habe ihr Verhalten mit Eitelkeit zu tun. Schönheits-OPs würden schlicht als Investment in die eigene Zukunft betrachtet, um einen besseren Job zu finden oder einen reicheren Freund. Oft ginge die Initiative von den Eltern aus, die ihre Kinder während des dreimonatigen Intermezzos zwischen Matura und Semesterbeginn in die Kliniken schicken würden. Die Nasenkorrektur wird zum Initiationsritus.

Ein gängiger Witz unter Studierenden in Seoul lautet, dass es schwierig sei herauszufinden, wie Südkoreaner denn nun wirklich aussehen. Lees Agentur Seoul Touchup händigt jedem seiner Patienten ein offizielles Dokument aus, das ihnen die jeweilige Schönheitsoperation bescheinigt: für den Fall, dass am Flughafen das Foto im Reisepass nicht mehr stimmt.

"Wir leben nun mal in einer Gesellschaft mit hohem Konkurrenzdruck. Da wird es immer wichtiger, wie man ausschaut", sagt Lee.

Wie zur Untermauerung seiner These huschen auf der Straße junge Frauen mit bandagierten Gesichtern vorbei, und obwohl dunkle Wolken über der Stadt hängen, verschwinden auffällig viele Passantinnen mit riesigen Paris-Hilton-Sonnenbrillen in den U-Bahn-Schacht. Diese sind, genau wie die Wagons, mit Reklame von hunderten Vorher-nachher-Bildern junger Frauen zugepflastert. Andere Städte mögen einen Speckgürtel haben, Seoul ist stolz auf seinen "Beauty Belt". Wer über die Gründe des exzessiven Schönheitswahns diskutiert, landet unweigerlich bei der turbulenten Vergangenheit des Landes.

Investition in die Zukunft

Sozialpsychologen mögen die Flucht hinter Statussymbole als Kompensation der kulturellen Leere auffassen, die die japanischen Kolonialherren in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hinterlassen haben – oder die tiefliegende Unsicherheit der Bevölkerung als Folge der jahrhundertelangen Opferrolle deuten, die die koreanische Halbinsel als Vasallenstaat seiner dominanten Nachbarstaaten erdulden musste.

Nicht zuletzt bildete diese Ohnmacht den Grundmotor für einen der rasantesten Wirtschaftsaufstiege des 20. Jahrhunderts: Noch zu Beginn der 1960er-Jahre war Südkorea ärmer als Äthiopien, heute ist es die elftgrößte Volkswirtschaft der Welt.

Längst ist das Land am Han-Fluss zum Vorbild geworden, vor allem für südostasiatischen Länder. Von Thailand bis Indonesien tanzt die Jugend zu K-Pop, verfolgt gebannt koreanischen Seifenopern im Hauptabendprogramm. Schlussendlich ist es ebenjene Unterhaltungsbranche, die die allereffizienteste Werbefläche für die koreanische Schönheitsindustrie ist: Es ist ein offenes Geheimnis, dass jeder der Schauspieler und Sänger, ganz gleich welchen Geschlechts, einem seiner Gesichtspartien oder Körperteile chirurgisch auf die Sprünge geholfen hat. Lee Joon sagt: "Viele Koreaner denken sich, dass sie nicht gut genug sind. Noch vor kurzem galt eine Bronze- oder Silbermedaille bei uns als Schande. Nur Gold zählt." (Fabian Kretschmer aus Seoul, DER STANDARD, 11.10.2014)