Wien - Der Wunsch nach einem Eigenheim ist ein Hund. Er hält zwar das Bankensystem am Laufen, den Menschen in seinem Hamsterrädchen der Kreditrückzahlung aber ebenso. "Anna, den Kredit hamma!" - diesen Spruch möchte die zweigespaltene Protagonistin der Sieben Todsünden aber erst gar nicht hören. Auf Geheiß ihrer diktatorischen Familie soll das Häuserl komplett aus Eigenmitteln finanziert werden. Die künstlerisch begabte Frau begibt sich auf eine Tour der Selbstverleugnung, um die Kohle herzuschaffen. Der Kleinbürger kann sich nichts leisten, nicht mal Sünden, ätzt Parabelpapst Brecht.

Am Volkstheater spielt Maria Bill die Anna. Tänzer gibt's keine (hat je irgendjemand dieses "Ballett mit Gesang" als Ballett mit Gesang gesehen?), die Bühne wird dominiert vom Orchester der (koproduzierenden) Vereinigten Bühnen Wien. Der dirigierende Milan Turkovic sucht es zu Sinnlichkeit als auch zu Schärfe in Weills Welt der angeknacksten Harmonien zu bewegen.

Regisseur und Hausherr Michael Schottenberg inszeniert seine ehemalige Gattin bühnenmittig. Wie bei den vorab präsentierten neun Liedern von Weill setzt Kostümbildnerin Erika Navas auf das Multifunktionskleid. Zwirbelt sich Bill als Liedinterpretin im schwarzen Abendkleid peu à peu aus ihrem blumengleichen Erstlook heraus, so betreibt die knabenhafte Sängerschauspielerin danach mit ihrem mädchenhaften Kleid quasi sekündlich virtuose Verwandlungen. Nebenbei bringt der Publikumsliebling die Seelenpein der geschundenen Kleinbürgerkreatur mit Intensität und großen Augen zum Ausdruck. Bill hat den ruppigen Ton gut drauf, mit langen lyrischen Linien ist sie weniger gut Freundin. Den exzellent singenden Familienchor (Ivaylo Guberov, Martin Mairinger, Johannes Schwendinger, Wilhelm Spuller) inszeniert Schottenberg als Anzugroboter im Gothic-Look. Übrigens: Das Gute am Kapitalismus ist ja, dass man auch mit Kapitalismuskritik Kohle machen kann. Um die Tantiemen der Sieben Todsünden stritten die Künstlerwitwen Helene Weigel und Lotte Lenya; die Brecht-Erben bekamen dann doch ihren üblichen 75-Prozent-Anteil. Die Reaktion des Publikums auf Bills Performance gerät unstrittig freudvoll. (Stefan Ender, DER STANDARD, 13.10.2014)