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"Ich gehe mit den Schülern – auch jenen hier in der Tanzschule – essen. Da sehe ich Kinder aus sogenannten sehr guten Familien, die nicht richtig mit Messer und Gabel umgehen können", sagt Benimm-Experte Thomas Schäfer-Elmayer.

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derStandard.at: Welche Benimmregeln sollte jedes Kind möglichst rasch beherrschen?

Schäfer-Elmayer: Sehr wichtig ist, dass ein Kind weiß, dass es grüßen sollte. Das macht es bei Erwachsenen von vornherein sympathischer. Dabei auch den Blickkontakt zu suchen gehört dazu. Natürlich sollte sich ein Kind bewusst sein, dass es nicht alles darf, was es so gerne machen möchte. Gleich nach der Geburt kommt man ja schon drauf, dass man nicht alleine auf der Welt ist. Mit Einschränkungen umgehen zu lernen ist aber sehr schwierig.

Was Kinder ab dem fünften Lebensjahr mehr und mehr beherrschen sollten, sind Tischmanieren. Gerade bei Tisch ist es besonders unangenehm, wenn sich jemand nicht ordentlich benimmt – mit vollem Mund redet, schmatzt oder einfach aufsteht. Für Kinder ist es nicht leicht, sich da zu disziplinieren. Aber eine gewisse Zeit sollten sie es schaffen, ruhig bei Tisch zu bleiben. Nicht zu lange, aber doch.

derStandard.at: Eltern laufen Gefahr, ihre Kinder ständig auszubessern. Soll man sich lieber einmal nur auf eine Sache konzentrieren?

Schäfer-Elmayer: Auch ein Manager muss aufpassen, dass er Dinge nicht zu oft bemängelt. Am Schluss hört es keiner mehr. Auf der anderen Seite: Steter Tropfen höhlt den Stein.

derStandard.at: Soll also mit Kindern extra geübt werden?

Schäfer-Elmayer: Nein, ich würde das im Alltag einfach einbauen. Eltern müssen sich auch ihrer Vorbildfunktion bewusst sein. Kinder beobachten sehr genau und werden vieles davon einfach aufnehmen, dann irgendwann dagegen rebellieren. Das macht aber nichts, weil sie wissen, wie es geht.

derStandard.at: Gerade kleine Kinder neigen zum Duzen …

Schäfer-Elmayer: Das Duzen ist auf dem Vormarsch. Es wird unglaublich viel geduzt, mehr als je zuvor. Das kommt sehr stark aus dem Englischen, wo es ja in der Form kein "Sie" gibt. Wir sollten Kindern klarmachen, wen sie siezen sollten. Allerdings werden sie selbst dauernd dazu verführt, weil ja schon im Kindergarten das Duzen der Erwachsenen losgeht.

derStandard.at: Bei Jugendlichen kommt man oft ins Schleudern: duzen oder siezen?

Schäfer-Elmayer: Bei uns in der Tanzschule ist das Grundprinzip: Wir siezen. Ich würde immer Sie sagen.

derStandard.at: Wenn Sie Kinder beobachten, was stört Sie am meisten?

Schäfer-Elmayer: Schwierig. Vielleicht, wenn sie rücksichtslos sind. Da gehören sie dann eingebremst. Auf der anderen Seite müssen Erwachsene schon auch akzeptieren, dass Kinder Freiraum brauchen. Ich hatte das Glück, hauptsächlich in Vorarlberg aufzuwachsen. Diese Freiheiten dort waren ein Traum. Zumindest als Kind. Später, als Jugendlicher, war das anders. Da fehlte zum Beispiel eine Tanzschule, wo man unglaublich viele Leute kennenlernt.

derStandard.at: Sind Sie selbst streng erzogen worden?

Schäfer-Elmayer: Bei mir waren schon von frühester Jugend an die Benimmregeln Thema. Ich kann mich noch erinnern, dass ich Besuch mit Handkuss begrüßen musste.

derStandard.at: Der Handkuss ist aber völlig aus der Mode.

Schäfer-Elmayer: Nein! Wir üben ihn bei uns in der Tanzschule nach wie vor. Und schauen Sie sich die Bilder von Angela Merkels erster Rundreise an. Da wurde sie von allen Staatschefs mit Handkuss begrüßt.

derStandard.at: Verrohen die Sitten?

Schäfer-Elmayer: Schon Aristoteles hat sich über das schlechte Benehmen der Jugend beschwert. Dass man immer dranbleiben muss, ist keine Frage. Wir haben heute viel weniger Zeit, das merkt man auch hier. Ich halte sehr viele Vorträge an Schulen. Da zeigt sich, dass das Interesse in Schulen, die direkt auf den Berufseinstieg vorbereiten wie die HTL, wesentlich höher ist. Warum? Weil sie diese Businessetikette bald brauchen und daher können sollten.

Ich gehe mit den Schülern – auch jenen hier in der Tanzschule – essen. Da sehe ich Kinder aus sogenannten sehr guten Familien, die nicht richtig mit Messer und Gabel umgehen können. Die kennen vielleicht durch ihre Familie tolle Restaurants und exotische Gerichte. Aber darauf kommt es gar nicht an. Im Grunde ist wichtig, dass man ein Wiener Schnitzel ordentlich essen kann. Das darf man voraussetzen.

derStandard.at: Warum scheitern diese Kinder?

Schäfer-Elmayer: Eine Erklärung ist, dass sich sehr viele Kinder nach der Schule das Essen selbst herrichten, und dann läuft mindestens ein Bildschirm – hinterher wissen sie gar nicht mehr, wie sie das gegessen haben.

derStandard.at: Also Essen vor dem Fernseher ist schlecht?

Schäfer-Elmayer: Ich muss zugeben, ich esse gerne vorm Fernseher. Nur sollte man dennoch auch zu Hause auf gute Tischmanieren achten. Wenn ich das nicht einübe, wenn ich das nicht natürlich und authentisch mache, werde ich es in einer kritischen Situation schon gar nicht können. Nur als Beispiel: Ich habe für eine wichtige Position noch nie jemanden eingestellt, mit dem ich nicht vorher essen gegangen bin. Ich selbst wurde übrigens auch schon so eingestellt.

derStandard.at: Und ein Handy am Familientisch?

Schäfer-Elmayer: Das gehört dort nicht hin. Wir haben überhaupt viel zu viel das Handy in der Hand. Wir leben ja teilweise nicht mehr im Hier und Jetzt und unserer Umgebung. Ich bin für Handypausen, die sind wirklich wichtig. Das ist noch ein Punkt: Es gehört geübt, ins Gespräch zu kommen. Ich beobachte oft Personen, die in einer Gruppe stehen und mit jemandem kommunizieren, der gar nicht da ist – also via Handy. Wenn ich dann aber ins Gespräch kommen sollte, etwa wenn ich als Bursch ein Mädchen kennenlernen will oder umgekehrt, fehlt die Übung. Dann macht man Fehler, blamiert sich oder schafft es überhaupt nicht.

derStandard.at: Gibt es Benimmregeln, die mittlerweile unnötig sind?

Schäfer-Elmayer: Einen Handkuss sollte man nicht erwarten. Ich würde das von keinem Kind in dem Alter verlangen.

derStandard.at: Manche Eltern finden sicher Etikette und Co eher schlimm.

Schäfer-Elmayer: Stichwort Regelwerk und darin gefangen? Das ist eine Zeitlang ein Problem, weil es anfangs bei den Kindern sozusagen unnatürlich ist. Es gibt aber nun einmal diese Regeln, sie sind Teil unserer Kommunikation. Wenn ich sie nicht kenne und nicht geübt darin bin, dann ist mir dieser Teil fremd, und ich kann damit nicht umgehen. Das kann ein immenser Nachteil sein. Daher ist es von Vorteil, wenn es möglichst früh gelernt wird. Natürlich können viele Dinge später auch angeeignet werden, in jungen Jahren ist es aber leichter.

Nur damit es kein Missverständnis gibt: Damit ist jetzt nicht gemeint, Kinder in ihrer Freiheit, in ihrem Entdeckertum völlig einzuschränken. Es geht um ein Stück Allgemeinwissen. Je mehr ich davon habe, desto mehr hilft es mir.

derStandard.at: Machen Sie selbst etwas falsch?

Schäfer-Elmayer: Andauernd. Ich bin auch nur ein Mensch. Aber: Wenn ich einen Fehler mache, wird er mir nicht verziehen. (Peter Mayr, derStandard.at, 12.10.2014)