Ein besonders gut erhaltenes Fundstück aus dem Burgenland: Die Wissenschafter des Österreichischen Archäologischen Instituts haben einen Teil eines Pferdegeschirrs gefunden – aus Bronze mit Silberbeschlag und Dekor.

Foto: ÖAI

Lutzmannsburg – Auf den ersten Blick ist nichts Besonderes zu sehen. Man steht auf einem abgeernteten Getreidefeld. Das Auge schweift über benachbarte Äcker, ein Waldstück und die wenige Hundert Meter entfernten Häuser von Strebersdorf, Gemeinde Lutzmannsburg. Aber Stefan Groh schaut auf die Erde. Er geht ein paar Schritte, bückt sich und hebt etwas auf. Auf seiner Hand liegt eine beige-graue, seltsam geformte Scherbe. Wahrscheinlich stammt sie von einer Öllampe, sagt der Archäologe. Geschätztes Alter: über 1900 Jahre.

Artefakte wie diese sind hier keine Seltenheit. Das unscheinbare Gelände unweit der Grenze zu Ungarn ist der größte antike Fundort in Burgenland. 2009 entdeckten Stefan Groh und sein Team in diesem Areal die Überreste eines römischen Militärlagers mitsamt angrenzender Siedlung. Das erste Kastell wurde wahrscheinlich um 20 nach Christus errichtet, erklärt der am Österreichischen Archäologischen Institut (ÖAI) tätige Wissenschafter. Die Römer bauten ihren Stützpunkt direkt an der Bernsteinstraße, in der Nähe des Flusses Rabnitz. Das Gebiet war reich an Raseneisenerz. Noch immer lässt sich dieser Rohstoff hier auffinden. Der Bodenschatz entstand wahrscheinlich durch Verwitterung von vulkanischem Gestein des Paulibergs in der Nähe von Markt Sankt Martin und anschließende Ablagerung der sich daraus bildenden Mineralien.

Das Erz hat bis zu 80 Prozent Eisengehalt, sagt Stefan Groh. Dementsprechend einfach war für Kelten und Römer auch die Verhüttung. Simple, mit Holzfeuer beheizte Meiler reichten aus, um einen hohen Ertrag zu erzielen. Besonders effizient waren diese Öfen allerdings nicht. Die antiken Schlacken enthalten so viel Resteisen, dass heute die Metalldetektoren darauf anspringen. Das Militärlager war zum Zeitpunkt seiner Errichtung ein vorgeschobener Posten. Als Handelsroute existierte die Bernsteinstraße schon viel früher, doch erst die Römer machten daraus eine befestigte Trasse mit begleitender Infrastruktur. Je weiter das Reich seine Grenzen nach Norden ausdehnte, desto länger wurde auch die derart ausgebaute Strecke. Alle 25 Kilometer wurde eine Versorgungsstation eingerichtet. Genau in der Mitte zwischen zwei dieser Raststätten befanden sich kleinere Anlagen – meist einzelne Gebäude mit Innenhof, in denen Ochsenkarren, ein damals gängiges Transportmittel, repariert werden konnten. 25 Kilometer entsprachen genau einer Tagesreise mit einem solchen Gefährt.

Die Reste der Bernsteinstraße sind mancherorts sichtbar. Ein Stückchen nordwärts vom ehemaligen Lagerplatz verläuft ein Waldpfad direkt über der antiken Trasse. Der Weg ist deutlich erhöht, Eichen und Hainbuchen säumen die Böschungen. Unter der schlammigen Oberfläche liegt, in etwa 20 Zentimeter Tiefe, der knapp 2000 Jahre alte Straßenkörper. Er besteht aus Schotter, ist sieben bis zehn Meter breit und über einen Meter dick, erklärt Groh. "Interessant ist, dass die Straße nicht oben auf der Kuppe verlief." Vielleicht standen dort Höfe oder Villen.

Mehrfach gebautes Lager

Das Lager selbst wurde mehrfach neu gebaut. Anhand von geomagnetischen Messungen konnten die Archäologen die Grundrisse von insgesamt drei Kastellen ausfindig machen. Die Römer errichteten sie immer wieder an derselben Stelle, aber kleiner als den jeweiligen Vorgängerbau. Die Bedeutung der Militärpräsenz nahm mit der Zeit vermutlich ab. Während die erste Befestigungsanlage noch für eine ganze Kohorte mit 500 Legionären Platz bot, konnte das letzte Fort nur rund 200 Mann beherbergen. Der Vicus dagegen, die zivile Siedlung, wuchs. Er bestand zur Blütezeit aus 80 bis 100 Häusern und hatte wohl an die 1000 Einwohner. Die Grundrisse der Fundamente sind deutlich auf den geomagnetischen Karten des Fundplatzes erkennbar. Demnach standen die meisten Gebäude entlang der Straße – wie heute in vielen burgenländischen Dörfern.

Im Stützpunkt war vor allem Kavallerie stationiert. Die Reiter stammten aus Asturien im Nordwesten der Iberischen Halbinsel. Ihre Grabsteine fand man im Mauerwerk von drei Kirchen in der Region. Dort waren sie lange nach Untergang des Römischen Reiches eingebaut worden. Die Herkunft der Kavalleristen dürfte kein Zufall gewesen sein, glaubt Stefan Groh. In Asturien betrieb man während der Antike ebenfalls schon Bergbau. Zur Sicherung der burgenländischen Bodenschätze schickte das Imperium anscheinend Soldaten, die auch Erfahrung mit der Gewinnung und Verarbeitung von Erzen hatten. Eine überaus effiziente Lösung.

Ein gut erhaltenes Stück

In der Zentrale des Österreichischen Archäologischen Instituts, einer, wie es heißt, "nachgeordneten Dienststelle" des Wissenschaftsministeriums, zeigen Groh und seine Kollegin Helga Sedlmayer einige Fundstücke aus Strebersdorf. Besonders gut erhalten ist ein Teil von einem Pferdegeschirr aus Bronze mit Silberbeschlag und sogenanntem Niello-Dekor. "Das geht schon in Richtung Paradeuniform", sagt Groh lächelnd. Ansonsten wurden die Spitzen von verschiedenen Speertypen und Pfeilen, Schlacken, Eisenbarren und Reste von Werkzeugen gefunden: einige Feilen sowie ein kleiner Hammerkopf. Letzterer diente für Feinschmiedearbeiten wie zum Beispiel die Herstellung von Kettenhemden, erklärt Groh. "Mit den Truppen kamen auch die Handwerker."

Hoher Holzverbrauch

Die Siedlung scheint nach Wegzug des Militärs in der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts weiter gediehen zu sein, vermutlich als Handelsposten und Straßenstation. Wie lange hier das Eisenerz abgebaut wurde, ist bisher nicht bekannt. Auch über die damalige Landschaftsstruktur liegen noch keine genaueren Hinweise vor. Die Erzverhüttung hatte einen sehr hohen Holzverbrauch, betont Groh. Womöglich waren sämtliche Wälder in der Umgebung abgeholzt. Wurden die Flächen dann landwirtschaftlich genutzt, und gab es vielleicht Villen von wohlhabenden Römern, die sich hier niedergelassen hatten? All diese und weitere Fragen werden die Wissenschafter bei künftigen Untersuchungen mit Förderung durch die Kulturabteilung des Landes Burgenland klären.

Irgendwann muss auch ein militärischer Großaufmarsch stattgefunden haben. Grohs Team hat vor kurzem in der Nähe der dreifachen Festungsanlage Spuren eines zweiten Lagerplatzes entdeckt. Das Areal ist über 20 Hektar groß und dürfte eine Legion, 6000 Mann plus Pferde, beherbergt haben. "Wir können das noch nicht datieren", sagt der Archäologe. Forschungen sind für das kommende Jahr geplant. (Kurt de Swaaf, DER STANDARD, 8.10.2014)