Russland-Experte Stefan Meister sieht in Putin einen Modernisierungs-Verweigerer.

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Ukraine-Präsident Petro Poroschenko gibt sich optimistisch für ein Gespräch mit Putin. Trotz anhaltender Krise.

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derStandard.at: Die Ostukraine ist noch immer Kriegsschauplatz. Sie sind der Meinung, dass die Ukraine-Krise eine Russland-Krise ist. Warum?

Stefan Meister: Die Ukraine-Krise ist ein Symptom für die schlechten Beziehungen zwischen Russland und dem Westen. Der Konflikt über Souveränität und Einflusssphären von Staaten in Europa ist nicht neu, aber jetzt hat er sich zu einer Systemkrise verstärkt.

derStandard.at: Ein Hauptmotiv in der russischen Propaganda ist das Gefühl der Erniedrigung. Das große Narrativ in der russischen Propaganda lautet, dass sich Russland wieder von den Knien erheben müsse.

Meister: Das ist typisch für Russland. Der Vorwurf lautet: Der Westen erweitere sich geopolitisch in den postsowjetischen Raum. Dabei ist das kein aggressives Vorgehen, im Gegenteil. Die Nato ist nicht vorbereitet auf eine Verteidigung ihrer Mitgliedsländer am östlichen Rand. Die USA zieht sich eher zurück aus Europa. In Wahrheit hat die Politik Putins keine andere Legitimation mehr als den Konflikt mit dem Westen. Ökonomisch entwickelt sich das Land in falsche Richtung. Mit dem Bedeutungsverlust durch den Untergang der Sowjetunion wird eine negative Stimmung geschürt. Es werden Bilder von Nazis in der Ukraine, Stalingrad und einem Genozid in Donezk transportiert, die der Realität der Ukraine nicht entsprechen.

derStandard.at: Zu einem großrussischen Reich gehört automatisch die Krim. Besitzt die Halbinsel tatsächlich eine derartige Symbolstärke?

Meister: Die Krim ist ein wichtiger Ort sowohl in der russischen Geschichte als auch in der Gegenwart. Die historische Bedeutung rechtfertigt aber nicht eine Annexion mit einer fingierten Befragung der Bevölkerung. Da könnte Deutschland auch hergehen und Ansprüche auf Danzig oder ehemalige ostpreußische Gebiete erheben.

derStandard.at: Die Nato-Osterweiterung wollte Russland nie. Wer hat das Tischtuch zwischen Russland und dem Westen zerschnitten?

Meister: Es waren beide Seiten. Russland hat aus einer Schwäche heraus die EU-Osterweiterung akzeptiert, aber auch viel Blockadepolitik betrieben. Die Modernisierungspartnerschaft mit dem Westen sieht man als Gefahr. Weil Modernisierung einen politischen Wandel, mehr Transparenz, weniger Korruption impliziert. Daran ist die politische Elite Russlands nicht interessiert. Der Westen will Russland nicht klein und schwach halten, sondern an diesem Land verdienen.

derStandard.at: Putin verschärft Gesetze gegen NGOs, Homosexuelle, lässt politische Aktivisten verhaften. Warum ist der Widerstand in Russland gegen die Ukraine-Politik Putins schwächer als in anderen Fragen?

Meister: Die Ukraine-Krise hat Putin ermöglicht, weite Teile der Bevölkerung, auch die Mittelschicht hinter sich zu vereinen. Diese Politik wird durch die Militarisierung der Gesellschaft und die Propaganda begleitet, die seit Jahren vorbereitet werden. Die Repression funktioniert, Andersdenkende haben Angst, werden stigmatisiert. In Moskau wurden Poster von Kritikern auf den Straßen plakatiert. Das erinnert an stalinistische Methoden.

derStandard.at: Putin hat mehr Respekt vor Merkel als vor Obama. Vielleicht, weil er sie nicht durchschauen kann? Kann Putin mit dem Frauenbild von Angela Merkel nichts anfangen?

Meister: Das ist ein bisschen Kreml-Astrologie. Für Putin ist Obama eine schwache Persönlichkeit. In Merkel sieht er die Führungspolitikerin Europas. Mit der Ukraine-Krise gab es einen massiven Vertrauensverlust, Putin hat Merkel angelogen. Neben dem inszenierten Leader Putin hat keine Frau Platz. Wobei der Macho-Typ für eine moderne europäische Frau wohl eher nicht sexy ist. Putin transportiert ein Männlichkeitsbild, das eine provinzielle, patriarchalische Gesellschaft anspricht.

derStandard.at: KGB-Agenten werden zu Schauspielern ausgebildet. Welche Rolle spielt der Einfluss des Geheimdienstes bei Putin?

Meister: Eine ganz zentrale Rolle. Putin hat sich zu jedem Zeitpunkt unter Kontrolle, will keine Emotionen zeigen, orchestriert alles. Aber er hat sich verändert. Mittlerweile hat er Spaß an öffentlichen Auftritten. Neulich weinte er bei einem Staatsempfang beim Erklingen der russischen Hymne. Der Mann steht unter einem riesigen Druck.

derStandard.at: Welche Lösungen sehen Sie für den Konflikt?

Meister: Wir alle kennen nicht die Lösung. Weil es eine Situation ist, die es so vorher so nicht gab. Russland hat mehrere rote Linien überschritten und der Westen hat keine Mittel, um darauf zu reagieren. Die Frage wird sein, wie man sich zukünftig auf ein derartiges Russland in Sachen Energieabhängigkeit und Sicherheit vorbereitet. (Florian Vetter, derStandard.at, 13.10.2014)