STANDARD: Sie unterstützen seit 15 Jahren Krebskranke bei der Bewältigung ihrer bedrohlichen Lebenssituation. Was sind wichtige Ankerpunkte?
Isak: Das Wichtigste in dieser schweren Zeit ist Betreuung und Begleitung, am besten von Menschen, die sich bis zu einem gewissen Grad mit der Erkrankung auskennen. Freunde und Bekannte hingegen bieten Stabilität in einer Phase, die nach einer Diagnose sehr oft mit Orientierungslosigkeit beginnt.
STANDARD: Was verstehen Sie unter Orientierungslosigkeit?
Isak: Die Diagnose Krebs versetzt Menschen in einen totalen Schockzustand. Es trifft die meisten vollkommen unvorbereitet. Plötzlich ist da diese Todesangst, man ist wie gelähmt, muss aber viele, sehr wichtige Entscheidungen treffen. Bis zu diesem Zeitpunkt war man selbstständig. Mit einem Schlag ist man es nicht mehr. Da sind logische Kategorien oft außer Kraft gesetzt.
STANDARD: Weil Menschen in den Mühlen der Medizin verschwinden?
Isak: Es geht einfach alles sehr schnell. Gerade hat der Arzt im Röntgen noch einen Schatten gesehen, muss die Frage geklärt werden, wer wo die Biopsie macht. Wenn ein Tumor bösartig ist, beginnt gleich auch die Therapie. Die Normalität ist weg.
STANDARD: Wie ist das bestmögliche Vorgehen in dieser schwierigen Situation?
Isak: Das Grundproblem ist, dass von einem Tag auf den anderen die Selbstbestimmtheit weg ist. Optimalerweise sucht man sich sehr schnell nach der Diagnose psychologische Hilfe und nimmt sie auch an. Vor allem Männer tun sich da sehr schwer damit. Wir haben aber die Erfahrung gemacht, dass ein multidisziplinäres Team viel Sicherheit gibt. Eine Haltung à la "Okay, gehen wir es an" ist eine ganz gute Grundeinstellung.
STANDARD: Wie unterstützt die Krebshilfe?
Isak: Interessanterweise kommen die meisten Patienten und Patientinnen nicht gleich nach der Diagnose zu uns, sondern bringen erst einmal die ersten Behandlungszyklen hinter sich. Sie kommen aber dann ungefähr acht bis 15 Monate danach.
STANDARD: Warum erst so spät?
Isak: Weil die Psyche den aktuellen Ereignissen meist hinterherhinkt. Wenn die ersten Chemos vorbei sind und man denkt, jetzt hat man ein schweres Stück hinter sich, beginnen oft erst die Probleme. Viele sind erschöpft, fragen sich, warum nach Ende der Therapie nicht alles wieder so wie früher ist. Teilweise kommt der Druck auch von außen.
STANDARD: Von Familie und Freunden?
Isak: Ja. Eine Krebserkrankung ist ja auch für die Familie und Freunde eine extreme Belastung. Menschen von außen wollen gerne aufheitern, gute Stimmung machen, aber das funktioniert nicht so einfach. Eine Chemotherapie ist kein Spaziergang, sondern abgesehen von zerstochenen Armen, Haarverlust und ständigen Untersuchungen ist es auch eine große nervliche Anspannung.
STANDARD: Auch wenn die Therapie vorbei ist?
Isak: Ja, weil sich Betroffene lange danach auch noch ausgelaugt und schwach fühlen können. Sie denken: Eigentlich sollten sie froh sein, weil sie es überstanden haben, aber sie tun es nicht. Aus dieser Diskrepanz entstehen schwere Depressionen. Außerdem muss jeder mit der Angst vor dem Rückfall umgehen lernen.
STANDARD: Kann Alltag, etwa der Wiedereinstieg in den Beruf, hilfreich sein?
Isak: Das ist individuell ganz unterschiedlich. Einigen hilft das Arbeiten, andere sehen sich körperlich nicht in der Lage. Nicht alle Arbeitgeber sind verständnisvoll, nicht jedes Büros hat ein gutes Arbeitsklima. Was wir in Österreich dringend bräuchten, ist ein gesetzlich verankertes, stufenweises Wiedereinsteigemodell für solche Menschen. Das sagen mir die Sozialberaterinnen in der Krebshilfe immer wieder. In anderen Ländern hat sich das sehr bewährt.
STANDARD: Apropos Beratung: Was genau bekommen Patienten und Patientinnen bei der Krebshilfe?
Isak: Wir bieten medizinische, sozialrechtliche und psychoonkologische Unterstützung an, und zwar kostenlos. Ich erlebe auch nach 15 Jahren, wie gut es einem Krebspatienten tut, wenn wir ihm einfach nur zuhören. Abgesehen von Einzeltherapien haben wir eine ganze Reihe von Angeboten wie Tanz- und Gymnastikstunden. Aktivitäten, die guttun.
STANDARD: Wie lange sind die Wartelisten?
Isak: Sie werden immer länger, wir haben großen Zustrom. Für Erstberatung haben wir immer Zeit, als Überbrückung zu den Einzelstunden haben sich unsere Gesprächsgruppen sehr bewährt. Vor allem Frauen nutzen unser Angebot, sie tun sich weniger schwer, über ihre Gefühle, die "Nachwehen der Therapie", zu sprechen. Reden ist definitiv wichtig, um Probleme gut zu verarbeiten und mit einer neuen Realität klarzukommen.
STANDARD: Bietet die Krebshilfe auch finanzielle Unterstützung?
Isak: Ja, es gibt bei der Österreischischen Krebshilfe finanzielle Unterstützung für Menschen, die krankheitsassoziierte Mehrkosten haben, Apothekenrechnungen zum Beispiel. Wir können auch temporär Einkommensscheren überbrücken, bezahlen Babysitter oder geben Fahrtkostenzuschüsse, etwa dann, wenn Krebspatienten lange Anfahrtszeiten ins Spital haben. Bei einer geschwächten Immunabwehr ist die U-Bahn ins Krankenhaus einfach nicht zumutbar. Wie gesagt: Die Selbstbestimmtheit wiedergewinnen. Darum geht es. (Karin Pollack, DER STANDARD, 10.10.2014)