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Bei der Versorgung von psychisch Kranken in Österreich sieht es düster aus.

Foto: APA/dpa/Julian Stratenschulte

Es fehlt in Österreich an Psychiatern mit Kassenvertrag und an der Finanzierung der Psychotherapie. Das erklärten einmal mehr die Vertreter der Psychotherapeuten bei einer Pressekonferenz in Wien aus Anlass des Tages der psychischen Gesundheit am 10. Oktober. Es handle sich um einen "Skandal".

Großer Bedarf, aber wenig Mittel

Laut den Daten der österreichischen Krankenkassen nehmen rund 900.000 Versicherte Leistungen wegen psychischer Krankheitsdiagnosen in Anspruch. "Es gibt viele internationale Studien, wonach etwa ein Drittel der Bevölkerung an einer psychischen Erkrankung leidet. Depressionen und Angststörungen allein haben in Österreich rund 1,7 Millionen Menschen", sagte Stephan Doering, Leiter der Klinik für Psychoanalyse und Psychotherapie der MedUni Wien.

Man müsse davon ausgehen, dass die meisten der Betroffenen auch eine Psychotherapie benötigten. Gehe man nun von 850.000 Menschen aus, die sich für Therapie motivieren lassen, bekomme in Österreich derzeit nur jeder Sechste auch eine finanziell unterstützte Psychotherapie. "Das ist ein Skandal. Genauso sehe es – so Doering – aber auch bei den Psychiatern mit Kassenverträgen aus. Laut der Statistik des Hauptverbandes der Sozialversicherungs- träger gibt es in Österreich knapp unter hundert Psychiater mit Kassenverträgen. Der Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Georg Psota, sprach vor einiger Zeit von nur rund 20 Kassen-Psychiatern in Wien.

Damit sei die Versorgung von psychisch Kranken drastisch unterdotiert. "Die Ausgaben für Psychopharmaka belaufen sich auf 230 bis 250 Millionen Euro. Aber bei nur 35.000 Personen übernimmt die Krankenkasse die Psychotherapiekosten, rund 30.000 Patienten erhalten einen Kostenzuschuss von 21,80 Euro", sagt Maria-Anna Pleischl, Präsidentin des Österreichischen Bundesverbandes für Psychotherapie (ÖBVP). Für eine Therapiestunde werden 90 Euro veranschlagt, die Kassentarife liegen in etwa zwischen 70 Euro in westlichen Bundesländern und 47 Euro in Wien. Gleichzeitig komme es zu inakzeptablen, monatelangen Wartezeiten für Therapieplätze.

Wie Doering erklärte, gibt es unbestreitbare wissenschaftliche Beweise dafür, dass die Psychotherapie hoch wirksam ist. Doch im Vergleich zu anderen vergleichbaren Ländern wie Deutschland und die Schweiz hinke Österreich weit nach: "In Deutschland ist die Psychotherapie voll durch die Krankenkassen finanziert. Es gibt einen Versorgungsgrad für zwei Prozent der Bevölkerung – in Österreich sind es nur 0,8 Prozent." Gleichzeitig, so Christine Diercks, Vorsitzende der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung, schränken die Krankenkassen Einzel- und längerfristige Behandlungen immer mehr ein.

Aus der Tabu-Ecke holen

Ein zweites großes Problem neben dem Mangel an Therapieplätzen ist nach wie vor die Stigmatisierung von psychisch Kranken. Hier setzt die Initiative "Ganz normal" an: Durch Aufklärung und öffentliche Diskussion soll das Thema "psychische Erkrankungen" aus der Tabu-Ecke geholt werden.

Die Plattform ganznormal.at will die Menschen zu mehr Achtsamkeit ermuntern. "Es wäre wünschenswert, wenn psychischen Krankheiten auch im Anamnesebogen, der im Rahmen der Gesundenuntersuchung in Österreich alljährlich von hunderttausenden Menschen ausgefüllt wird, mehr Raum gegeben würde. Unsere Seele hat sich einfach mehr Aufmerksamkeit verdient", sagt Georg Psota, Chefarzt der Psychosozialen Dienste Wien und Leiter des Fachbeirats von ganznormal.at.

Selbst schwer depressive Menschen würden versuchen zu rationalisieren, wenn sie das erste Mal mit einer psychischen Krankheit konfrontiert sind, sagt Psota. "Sie suchen nach anderen Ursachen, auch körperlichen Erklärungen, weil das, was es ist, eine Depression nämlich, das soll es bitte nicht sein. Dabei könnte die Krankheit, richtig diagnostiziert und korrekt behandelt, in vielen Fällen geheilt werden!" (APA/red, derStandard.at, 9.10.2014)