Bild nicht mehr verfügbar.

Die übliche Reaktion auf Kritik ist, die Schuld der Gegenseite zuzuweisen, entrüstet zu tun, die Muskeln spielen zu lassen.

Foto: Reuters/Yannis Behrakis

Feministische Debatten sind oft schmerzhaft für die Beteiligten. Momentan zum Beispiel gibt es heftige Debatten um einen Blogpost von Chris Köver im "Missy Magazine", die einen sarkastischen Text über eine Künstlerin geschrieben hatte, die ihr kein Face-to-face-Interview gegeben hat. Sie wurde daraufhin scharf kritisiert - wie ich finde, zu Recht – und hat sich jetzt entschuldigt, aber, wie andere finden, zu halbherzig.

Die Debatte dreht sich um eine sogenannte “Call-out-Culture”, also darum, wie wir intern aneinander Kritik äußern und uns gegenseitig auf diskriminierendes oder sonstwie falsches Verhalten hinweisen. Das Thema ist auch unabhängig von dem konkreten Fall virulent. Viele meinen zum Beispiel, dass innerhalb des Feminismus zu viel und zu unbarmherzig kritisiert würde, sodass man ständig Angst haben müsste, irgendetwas falsch zu machen.

Kein guter Umgang mit Fehlern

Aber dieses Problem ist ja keines, das speziell Feministinnen trifft - sondern diese Probleme entstehen deshalb, weil wir generell in einer Kultur leben, die keinen guten Umgang mit Fehlern hat. Diese innerfeministischen Auseinandersetzungen sind deshalb so schmerzhaft, weil wir hier Neuland betreten. Weil wir hier schon längst auf Terrain sind, von dem der Rest der Gesellschaft noch weit entfernt ist. Wo wir Verfahren, Reaktionen, Diskussionsstile und so weiter erst noch erfinden müssen. Das ist schwierig, deshalb die vielen Schmerzen.

Vor einigen Wochen hielt ich beim Jahreskongress der "Redenschreiber in deutscher Sprache" (sic) einen Vortrag über Political Correctness. Bei der anschließenden Podiumsdiskussion kam die Frage auf, was jemand tun kann, der sich wegen einer "falschen" Äußerung in einem Kritiksturm wiederfindet. Die anderen Diskutanten schlugen Sachen vor wie Zurückschlagen oder Aussitzen, jedenfalls könne man da sowieso nichts machen.

Vereintes Lachen

Ich schlug dann vor, man könne sich doch entschuldigen und sagen, das habe man bisher nicht gewusst oder nicht bedacht, sich für die Kritik bedanken und versprechen, sich genauer mit dem Thema zu beschäftigen und die eigene Praxis gegebenenfalls zu überdenken.

Die Reaktion war sozusagen vereintes Lachen. Das wäre ja eine sehr ehrenwerte Sichtweise, wurde mir gesagt, aber im öffentlichen Leben leider ganz und gar unmöglich zu verwirklichen. Jeder Politiker, der einen Fehler eingesteht, würde sich selber ins Aus katapultieren. Aus Fehlern lernen? Das können vielleicht Betschwestern, aber die derzeit gängigen Regeln des öffentlichen Diskurses würden so etwas leider nicht vorsehen.

Ich weiß nicht, ob das stimmt, aber die Zustimmung der anderen Referenten und des Publikums war jedenfalls so einmütig, dass ich mal annehme, da ist etwas dran. Oder zumindest ist die allgemeine Meinung, die herrschende symbolische Ordnung diesbezüglich eindeutig. Wer Fehler zugibt, ist schwach, wer öffentlich zugibt, etwas noch nicht zu wissen, etwas nicht bedacht zu haben oder etwas erst noch lernen zu müssen, hat sich disqualifiziert.

Nur keine Zugeständnisse

Das ist natürlich schockierend, aber es erklärt auch vieles. Wir leben in einer Kultur, in der die übliche Reaktion auf Kritik ist, erstmal alles abzustreiten und nur ja keine Zugeständnisse zu machen (eventuell landet man ja auch noch vor Gericht, und da wäre das ganz schlecht, wenn man vorher schon Zweifel an der eigenen Unschuld geäußert hätte). Die übliche Reaktion auf Kritik ist, die Schuld der Gegenseite zuzuweisen, entrüstet zu tun, die Muskeln spielen zu lassen. Erst mal sehen, wer der Stärkere ist.

Auch wir Feministinnen sind von dieser Kultur geprägt, auch wir haben die Regeln der herrschenden symbolischen Ordnung internalisiert, sie ist auch ein Teil unserer Routine.

Doch diese Ordnung, diese Kultur ist schlecht. Sie verhindert, dass Menschen etwas dazulernen. Sie verhindert, dass neue Ideen sich verbreiten, selbst wenn sie gut sind. Sie führt dazu, dass Kritik allzu häufig eine Spirale aus Rechtfertigungen und Schuldzuweisungen auslöst, die sich immer weiter aufschaukelt.

Und das ist eben schmerzhaft. Weil wir die Regeln der alten Ordnung nicht mehr akzeptieren, aber noch keine neuen haben, die uns in Fleisch und Blut übergegangen wären. Ich fürchte, da müssen wir durch.

Feministische Theologie

Aber die Chance, dass sich dadurch etwas verändert, besteht. Ich erinnere mich zum Beispiel an heftige Debatten in der feministischen Theologie, als in den 1980er-Jahren jüdische Theologinnen den christlichen Theologinnen vorgeworfen haben, antijudaistische Stereotype zu verbreiten – zum Beispiel, indem sie Jesus als “neuen Mann” feierten, der sich gegen das alte jüdische Patriarchat abgrenzte.

Auch damals waren die Abwehrreaktionen heftig, haben sich die christlichen Theologinnen gegen solche Kritik verwahrt, hat sich die Spirale an gegenseitigen Vorwürfen aufgeschaukelt, sind Tränen geflossen.

Inzwischen wissen wir, dass diese innerfeministischen Debatten Avantgarde waren. Die Feministinnen stritten sich schon über christlichen Antijudaismus, als das in der Mainstreamtheologie noch überhaupt kein Thema war. Inzwischen ist der Sachverhalt weitgehend anerkannt, hat ein Umdenken aufseiten der christlichen Theologie stattgefunden, zumindest in Teilen, auch unter Männern.

Die Schmerzen, so meine Hoffnung jedenfalls, sind also wenigstens nicht umsonst. (Antje Schrupp, dieStandard.at, 9.10.2014)