Eine Designstudie der "Tram on Demand"

Foto: Vectus PRT/Mobilitätskooperative Mödling

Wien - Die Kaltenleutgebner Bahn gehöre zu den langsamsten der Welt, schrieb Mark Twain in seiner gewohnt lakonischen Art. 1898 verbrachte der US-amerikanische Schriftsteller knappe fünf Monate in Kaltenleutgeben und pendelte regelmäßig vom pittoresken Örtchen inmitten der Hügel des Wienerwalds über die rund sechs Kilometer lange Strecke zur Einmündung in die Südbahn und von dort weiter ins Zentrum Wiens.

15 Jahre zuvor war die Kaltenleutgebner Bahn als westliche Abzweigung der Südbahn eröffnet worden. Über hundert Jahre verkehrten auf ihr Güter- und Personenzüge, ehe der schleichende Niedergang seinen Lauf nahm. Bis hinein in die 2000er-Jahre diente die Trasse noch einem Zementwerk vor dem Kaltenleutgebner Ortskern zu Transportzwecken, dann wurde der letzte Streckenabschnitt bis zum örtlichen Bahnhof abgetragen.

2012 war auch damit Schluss. Zuletzt nutzte nur mehr die Bürgerinitiative Pro Kaltenleutgebner Bahn die Gleise für Nostalgiefahrten. Im vergangenen Jänner wurde die Strecke, die zum Hauptteil auf dem Gemeindegebiet Perchtoldsdorfs entlang der Landesgrenze zu Wien verläuft, wegen "wirtschaftlicher Unzumutbarkeit" amtlich aufgelassen.

Die Strecke der Kaltenleutgebner Bahn von der Südbahnabzweigung im Osten bis nach Kaltenleutgeben im Westen.

Die Wiederbelebung als erster Schritt

Jetzt beabsichtigt die Mobilitätskooperative Region Mödling, die "Kaleu" in Form des Pilotprojekts Tram on Demand wiederzubeleben: Eine fahrerlose Straßenbahn, die Wartende wie einen Lift per Knopfdruck anfordern können, soll künftig Menschen rund um die Uhr und emissionsfrei nach Wien und zurück bringen.

Das wünscht sich zumindest Christian Apl, der Projektleiter der Mobilitätskooperative und grüner Gemeinderat. Wenn seine große Vision aufgeht, ist Kaltenleutgeben nur der Anfang und in einigen Jahren werden sämtliche Gemeinden der Region Mödling in einem Netzwerk selbstfahrender Züge verbunden sein. "Das Projekt könnte Leuchtturmqualität haben", sagt Apl im Gespräch mit derStandard.at. Auch vom Identifikationsangebot für die lokale Bevölkerung ist die Rede. Und von einer Wahrzeichenfunktion.

Billiger als der Bus

Heute sind die Pläne freilich noch vage, Apl spricht oft von "Optionen". Vor allem die Finanzierungsoption ist offen. Eine Sondierungsstudie soll Anfang kommenden Jahres fertiggestellt sein, darin werden zwischen rechtlichen, raumplanerischen und eben finanziellen Aspekten alle Rahmenbedingungen abgesteckt. Im Idealfall beteiligen sich Bund, Land, Gemeinden und private Sponsoren gleichermaßen, sagt Apl.

Langfristig soll der laufende Betrieb der Tram on Demand durch den Verzicht auf Fahrer günstiger kommen als beim konventionellen Nahverkehr. Zwar ist weiterhin Kontrollpersonal in einer Leitstelle vorgesehen, doch selbst damit sollen die Betriebskosten unter jenen des jetzigen Busverkehrs liegen.

Kritik an autonomen Fahrzeugen

Videoüberwachung soll Vandalismus vorbeugen und also diesen Aspekt fehlenden Personals vor Ort abdecken. Die lauteste Kritik am vollautomatischen Betrieb trifft allerdings die Verkehrssicherheit. In hindernislosen U-Bahn-Tunneln wären computergesteuerte Züge durchaus denkbar, sagt Verkehrsexperte Harald Jahn. Doch die Straßenbahn auf Abruf würde mehrere unbeschrankte Bahnübergänge passieren.

Technisch sei das in Zeiten von selbstfahrenden Google Cars kaum mehr ein Problem, relativiert Apl, und auch anderswo gebe es schon praktikable Lösungen für schienengebundene Selbstfahrer.

Die Demokratisierung des öffentlichen Nahverkehrs

Doch nicht nur die querenden Straßen machen die Kaltenleutgebner Bahn zu einem dürftigen Modellprojekt, sondern auch die Eingleisigkeit, lautet eine These der kritischen Auseinandersetzung mit dem Projekt im Tramwayforum. Die Züge müssten an den Endstellen zu lange warten.

Wenn nur drei Ausweichen installiert würden und vier Fahrzeuge auf der Trasse verkehren, wäre bei 30 Stundenkilometern ein Intervall von fünf Minuten möglich, sagt Apl. Gemäß einer ersten Überlegung könnten flexibel kombinierbare Kabinen mit einem Fassungsvermögen von 6, 24 oder 48 Personen eingesetzt werden, jeweils elektrisch betrieben und aus erneuerbaren Quellen gespeist.

Und ganz auf Fahrer verzichten müsste man auch nicht, sagt Apl - man könnte die Passagiere zu Chauffeuren machen, lautet ein Gedankenspiel: Wer einen Crashkurs absolviert, könne Zugang zu einem Fahrstand light erhalten und dann statt der automatischen 30 km/h doppelt so schnell fahren dürfen. Die Demokratisierung des öffentlichen Nahverkehrs.

Von der Wirtschaftlichkeit einer Utopie

Der Initiator sieht im Kaltenleutgebner Versuchsfeld auch andere Vorteile: 2008, wenige Jahre vor der Stilllegung, wurde der Oberbau der Trasse generalsaniert und befindet sich noch in einwandfreiem Zustand. Außerdem werden anstelle des ehemaligen Zementwerks 450 Wohnungen für über tausend neue Bewohner gebaut, die den Bedarf am momentan vernachlässigten öffentlichen Regionalverkehr noch deutlich erhöhen werden.

"Freilich werden wir mit der 'Kaleubahn' alleine nicht das Verkehrsproblem im ganzen Bezirk lösen, aber sie drängt sich als Einstieg dazu förmlich auf", meint Apl - mit dem Nachsatz: "Betriebswirtschaftlich interessant wird das Konzept vermutlich aber erst, wenn wir es bis zur HTL in Mödling schaffen."

Und auch darüber hinaus besteht eine Utopie: Die Trasse der Kaltenleutgebner Bahn deckt nur die ersten drei von angedachten 34 Tram-on-Demand-Projektphasen ab. Denkt man die Idee bis zum Schluss durch, so würde zwischen Liesing und Gumpoldskirchen der größte Teil des südlichen Wiener Einzugsbereichs von einem horizontalen Aufzug bedient werden. (Michael Matzenberger, derStandard.at, 10.10.2014)