Prozess/Wien - Ein Mann soll im vergangenen Dezember seine Nachbarin Annemarie H. in ihrer Gemeindebauwohnung in der Theergasse in Wien-Meidling erstochen haben, weil ihm die 59-Jährige kein Geld geben wollte. Der 37-Jährige musste sich am Mittwoch wegen Raubmordes im Straflandesgericht zu verantworten. Der Angeklagte bekannte sich zum Raub schuldig, bestritt aber die Tötungsabsicht.

Die Witwe war in dem Wohnhaus sehr beliebt und wurde von einigen Mietern "Tante Anni" gerufen. Auch der Angeklagte nannte sie bei diesem Namen. Der 37-Jährige, der nie einen Beruf erlernt hat und eigenen Angaben zufolge seit seinem 13. Lebensjahr drogenabhängig ist, hatte sich von der Pensionistin immer wieder finanziell aushelfen lassen.

"Ich hatte Entzugserscheinungen"

"Meistens hat sie mir Geld gegeben", erzählte der 37-Jährige dem Schwurgericht (Vorsitz: Friedrich Forsthuber). Auch am Abend des 4. Dezember habe er bei ihr angeklopft, weil er "gekracht" habe: "Ich hatte Entzugserscheinungen. Sie machte die Tür auf und bat mich rein. Weil ich solche Schweißausbrüche hatte, hat sie mir ein Glas Wasser gegeben."

Seine Bitte um 50 Euro habe sie allerdings abgeschlagen: "Sie hat 'Nein, ich hab' kein Geld' gesagt. Ich hab gesagt 'Bitte, Tante Anni, nur zehn, 20 Euro'." Die Frau sei bei ihrem Nein geblieben: "Da hab' ich das Messer in der Küche gesehen. Ich weiß nicht, wie ich auf die Idee gekommen bin. Ich wollte sie ein bisschen verletzen und schauen, ob sie wirklich kein Geld hat."

Der 37-Jährige stach der Frau das Messer mit einer weiten Ausholbewegung von oben in den Körper. Die Klinge eröffnete einen 15 Zentimeter langen Stichkanal und beschädigte Herz und Lunge. Er habe sie "ein bissl pieksen, nicht umbringen" wollen, insistierte der Angeklagte: "Ich wollte ihr ein bissl eine Fleischwunde machen, damit sie sich mit der Wunde beschäftigt und ich zu ihrer Handtasche gehen kann." Annemarie H. habe ihn nach dem Messerstich "schockiert" angeschaut: "Als ich gegangen bin, ist sie noch gestanden. Ich dachte, sie wird weiterleben."

"Nur ein paar Münzen"

Mit dem Messer, der Brieftasche und dem Handy der Sterbenden verließ der Mann die Wohnung. In der Börse hätten sich "nur ein paar Münzen" befunden, gab der Angeklagte zu Protokoll: "Es war zu wenig für Drogen." Mit dem Handy marschierte er zur als Drogen-Umschlagplatz bekannten U-Bahn-Station Gumpendorfer Straße, wo er es für elf Euro verkaufte, nachdem er dem Gerät die SIM-Karte entnommen und diese zerstört hatte. Davon habe er sich "einen Schuss gekauft", sagte der 37-Jährige.

Am nächsten Tag habe er bei "Tante Anni" geklopft, "um mich zu entschuldigen". Sie habe nicht aufgemacht. Er habe "die Tat verdrängt. Ich wollte nicht wahrhaben, dass ich zu so etwas fähig bin."

Am Abend des 5. Dezember entdeckte die Tochter die Leiche ihrer Mutter. Die beiden hatten ein ausgesprochen enges Verhältnis, die 40-Jährige telefonierte täglich mit ihrer Mutter, verbrachte mit dieser Urlaube und beinahe jedes Wochenende. Als sie die 59-Jährige zwei Tage hintereinander telefonisch nicht erreichen konnte, schrillten die Alarmglocken. Sie überredete ihren Lebensgefährten, mit ihr zur Wohnung der 59-Jährigen zu fahren.

Opfer soll nur 460 Euro Pension bezogen haben

Im Zeugenstand machte die Tochter einen gebrochenen Eindruck. Ihre Mutter habe eine Invaliditätspension von 460 Euro monatlich bezogen und teilweise Schmuck versetzt, "um über die Runden zu kommen". Sie könne sich aufgrund dessen nicht vorstellen, dass diese einem Nachbarn regelmäßig mit Geld aushalf. Sie habe auch nie davon erzählt. Die Tochter ging außerdem davon aus, dass sich zum Todeszeitpunkt zumindest noch 150 Euro im Besitz ihrer Mutter befanden, da sich diese erst kurz zuvor bei ihrer Bank Geld besorgt hatte.

Auch der Lebensgefährte der Tochter wurde als Zeuge befragt. Er berichtete, dass man nach Auffinden der Leiche zunächst von keinem Verbrechen ausgegangen war. Die Notärztin habe die Stichwunde zunächst nicht bemerkt. Erst die Obduktion brachte Klarheit. Weil der Nachbar in der Wohnung Fingerabdrücke und an dem Glas DNA-Spuren hinterlassen hatte, konnte er nach kurzer Zeit als Mordverdächtiger festgenommen werden.

Auf die Frage, wie es seiner Freundin zehn Monate nach der Bluttat psychisch gehe, erwiderte der Lebensgefährte: "Sie ist zwei Mal die Woche in Behandlung. Verkraftet hat sie es bis heute nicht. Die Mutter war ihr ein und alles."

"Ruchlose Tat" für Anklägerin

Staatsanwältin Valerie Walcher sprach in ihrem Schlussplädoyer von einer "ruchlosen Tat" und forderte das Schwurgericht ausdrücklich auf, über den 37-Jährigen wegen Raubmords die Höchststrafe zu verhängen: "Nur eine lebenslange Freiheitsstrafe ist tat- und schuldangemessen." Die Verteidigerin plädierte demgegenüber auf Raub mit Todesfolge. Dass Annemarie H. zu Tode kam, war für die Anwältin "eine fahrlässige Folge des Stichs". Ihr Mandant habe keinen Tötungsvorsatz gehabt.

"Das, was ich getan habe, ist wirklich schrecklich. Ich denke jeden Tag und jede Nacht darüber nach. Es lässt mich nicht schlafen. Ich wünschte, es wäre nie passiert. Es tut mir schrecklich leid", sagte der Angeklagte in seinem Schlusswort. Um 15.15 Uhr zogen sich die Geschworenen zur Rechtsbelehrung und Beratung über die Schuldfrage zurück. Mit der Urteilsverkündung war nicht vor 17 Uhr zu rechnen. (APA, 8.10.2014)