Für Wiener eine der seltenen Gelegenheiten, das Dirndl oder die Lederhose anzulegen: die Wiesn im Prater.

Foto: derstandard.at/von usslar

Moderator: "Klopf, klopf - wer da?" Die Frauen: "Zalando!" Moderator: "Klopf, klopf - wer da?" Die Männer: "Freibier!"

derstandard.at/maria von usslar
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Durch das transparente Zeltdach scheinen die erleuchteten Gondeln des Wiener Riesenrads, das Festzelt ähnelt einem Gewächshaus. Regennasse Strümpfe und Loden sowie das Kondensat schunkelnder Wiesn-Gäste machen das Klima tropisch.

Der Maß-Index und die Münchner Tradition

Noch vor dem Security-bewachten Eingang rutscht einem Gast die Bierdose aus der Hand, und der Inhalt sprudelt über die Planken. Mitgebrachte Getränke sind nur auf dem Gelände außerhalb der Festzelte erlaubt. Ab 18 Uhr zahlt man ab 39 Euro für den Eintritt in eines der Zelte. Dann gibt es Bier nur mehr in Maßkrügen für 8,80 Euro. Verglichen mit einem Liter um 10,10 Euro auf dem Münchner Oktoberfest ist das recht günstig.

Die Bierbänke in Wojnar's Kaiserzelt sind an diesem Wochentag zu einem Viertel besetzt. Es ist das kleinste von drei Zelten. In dem mit Stroh und Holz dekorierten Areal vor dem Riesenrad stehen noch vier Almen, für die man keinen Eintritt zahlen muss und in die sich auch Laufkundschaft ohne Tracht verirrt.

Das Wiener Wiesn-Fest findet heuer zum vierten Mal statt. Üblicherweise entstehen Volksfeste aus brauchtümlichen Festen mit langer Tradition. Die Veranstalter deklarieren das Fest jetzt schon als das "größte Volksfest Österreichs". Und auch die Besucher können sich vorstellen, dass eine Wiesn im Prater österreichische Tradition wird. Nur ein Besucher sieht das anders. Für ihn ist es Münchner Tradition, die da gefeiert wird. "Aber man feiert ja auch Halloween."

Aber warum braucht Wien ein Oktoberfest?

Tatsächlich kommen Jahr für Jahr immer mehr Gäste. Im Jahr 2013 waren es rund 165.000. Heuer rechnet Geschäftsführer Christian Feldhofer mit rund 250.000 Besuchern. Die Zahl wurde gegen Ende sogar nach oben korrigiert, weil bereits nach zwei Wochen die Besucherzahl des Vorjahrs übertroffen wurde.

Aber warum brauchen die Wiener ein Oktoberfest? Für sie ist es eine der wenigen Gelegenheiten, das Dirndl oder die Lederhose anzuziehen. "Das geht sonst nur zum Kirtag am Land oder in der Bettel-Alm" (Wiener Disco mit Volksmusik, Anm.), sagt ein Mittzwanziger.

Schuhe für die Frauen, Freibier für die Männer

Ein Moderator ruft jedes Bundesland einzeln auf. Das "Gröl-o-Meter" sagt ihm, dass sein Publikum hauptsächlich aus Wien stammt, aber auch die Steirer klatschen und johlen überdurchschnittlich kräftig. Mit Trinkspielen und Saufparolen bewegt der Moderator die Gäste zur ständigen Interaktion. Humor, der Geschlechterklischees aufgreift, kommt dabei am besten an.

Insgesamt gibt es kaum einen Hit, der nicht mit Handlungsaufforderungen zum Klatschen, Antworten ("Heu, heu, heu") oder Bewegen (Polonaise) einhergeht.
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Der DJ verabschiedet sich mit "Atemlos" von Helene Fischer (gefühlt das meistgespielte Lied an diesem Abend) und übergibt an die "Dirndl-Rocker", die mit steirischer Harmonika eine Menge Menschen zum Schuhplattln bewegen. Die Wiesn soll auch eine Gelegenheit für Blaskapellen, Brauchtums- und Volkstanzvereine sein, sich in der Hauptstadt zu präsentieren. Der Veranstalter wirbt mit 400 Stunden Livemusik.

"I am from Austria" in der Selbstbräunerversion

Im Gösser-Zelt ist "I am from Austria" zu hören. Ein Grund für viele hundert Menschen, mit rot-weiß-roten Fahnen auf die Bänke zu steigen und sie zu schwenken. Der Frontmann der Coverband "Die 3" sieht Rainhard Fendrich bis auf den Selbstbräuner und die blondierten Mèchen zum Verwechseln ähnlich.

Für einen Playback-Auftritt ist die Menge relativ ungehalten, eventuell sind einige auf das Double hereingefallen. Securitys in grünen Westen holen regelmäßig Fans von den Tischen herunter.

Letzte Runde: "Nehmt ihr uns mit nach Hause?"

Ein Äquivalent zum Münchner Kotzhügel, wo die Alkoholleichen vom Oktoberfest landen, scheint es hier nicht zu geben. Überhaupt geht es recht gesittet zu. Ein Rettungssanitäter sagt: "Hier muss sich keiner fürchten", lediglich zu vier Schlägereien sei es am vergangenen Wochenende gekommen.

Eine sanfte Computerstimme kündigt die letzte Runde an. In den Almen geht die Gaudi noch bis halb eins weiter. Die allgemeine Aufbruchsstimmung veranlasst manchen zum "Auschecken". Beim Hinausgehen ergibt sich recht ungalant die erste Gelegenheit, nicht alleine nach Hause zu gehen. "Nehmt ihr uns mit nach Hause?" (Maria von Usslar, derStandard.at, 10.10.2014)