Wien - Wer dem Naturhistorischen Museum in Wien einen Besuch abstattet, kommt nicht umhin, dem Begründer der Sammlung seine Aufwartung zu machen.
Das enigmatische "Kaiserbild" Franz Stephans von Lothringen beherrscht die Prunktreppe in das obere Stockwerk des Museums. Franz Stephan, als Gemahl Maria Theresias mit seinen kaiserlichen Amtsgeschäften ganz offensichtlich unterfordert, widmete seine Zeit wie sein Vermögen mit Vorliebe den Naturwissenschaften. So wundert es nicht, dass ihn die Kaiserin nach seinem Tod zur Erinnerung inmitten seiner Kollektionen, umgeben von seinen Sammlungsleitern, porträtieren ließ.
Der Kaiser hält eine Smaragdstufe in der Hand, auf dem Tisch befinden sich unter anderem ein großer Bergkristall und ein geschliffener Ammonit, Objekte, die nicht der Fantasie der Maler Franz Messmer und Jacob Kohl entsprungen sind, sondern sich noch heute in der Sammlung befinden.
Des Kaisers Forscher ...
Um den Herrscher scharwenzeln seine Wissenschafter: Ganz rechts steht der Chef des physikalisch-astronomischen Kabinetts Abbé Johann Marcy, links hinter dem Kaiser der Leibarzt und Hofbibliothekar Gerard van Swieten, während Münzkabinettsleiter Valentin Duval ein Tablett mit goldenen Medaillen zum Tisch bringt.
Johann Ritter von Baillou hält sich im Hintergrund, dessen Sammlung von Mineralien und Fossilien der Kaiser 1749 um die gigantische Summe von 40.000 Scudi erworben hatte und der in der Folge Direktor des neugeschaffenen Hof-Naturalien-Kabinetts wurde - ein Amt in männlicher Erbfolge.
Bei einer 1992 im Zuge der Renovierung des Gemäldes durchgeführten Röntgenuntersuchung wurde festgestellt, dass das Bild in seiner Geschichte mehrfach übermalt und ausgebessert wurde. Die größte Überraschung dabei war die Entdeckung dreier weiterer Personen in der kaiserlichen Gesellschaft, die offenbar von den Künstlern noch vor Fertigstellung des Bildes im Jahr 1773 wieder entfernt wurden. Zwei Figuren sind nur schemenhaft zu erkennen, ganz im Gegensatz zur dritten. Ein Collar weist diese als Mitglied des Klerus aus, vermutlich ein Jesuit - der Orden war im Entstehungsjahr des Gemäldes aufgehoben worden. Doch um wen handelt es sich?
Auf die Lösung musste die Leiterin des Museumsarchivs, Christa Riedl-Dorn, mehr als zwei Jahrzehnte warten. Erst durch einen Zufall, erzählt sie, wurde sie im Vorjahr auf ein Porträt des Hofastronomen Maximilian Hell aufmerksam, dessen Gesichtszüge jenen des Phantoms auf dem Kaiserbild gleichen. Der 1720 auf dem Gebiet der heutigen Slowakei im Königreich Ungarn geborene Jesuit Hell studierte Mathematik und Astronomie in Wien und assistierte dem Direktor der Sternwarte Joseph Franz. 1755 wurde er selbst mit der Leitung der Universitätssternwarte betraut.
Während er sich, zeitgemäß im Stile eines Universalgelehrten, auch mit esoterischem Unfug wie einer Magnettherapie zur Schmerzbekämpfung befasste, schuf er mit den Ephemeriden, astronomischen Jahrbüchern über einen Zeitraum von 35 Jahren, einen bleibenderen Wert.
Seine größte Leistung besteht jedoch in der Berechnung der Distanz zwischen Erde und Sonne, die er mit 152 Millionen Kilometern beeindruckend genau bezifferte - heute wird der Wert mit 149,6 Millionen angegeben. Hell errechnete die Strecke aus den Daten des Venustransits vor der Sonne, für dessen Beobachtung er 1769 auf Einladung des dänischen Königs nach Vardø in den äußersten Norden Norwegens reiste.
Die Veröffentlichung brachte ihm jedoch in Österreich keinen Ruhm, sondern Spott und Betrugsvorwürfe ein, was ein weiterer Grund für sein Verschwinden aus dem Kaiserbild sein könnte. Erst ein Jahrhundert nach seinem Tod wurde die korrekte Durchführung seiner Berechnungen bestätigt.
Während seines Aufenthalts in Lappland befasste sich das Multitalent Hell auch mit der Verwandtschaft der samischen und finnischen Sprache mit dem Ungarisch seiner Heimat. Im Jahr 1792 starb Hell 71-jährig in Wien, an seiner Grabstätte im niederösterreichischen Maria Enzersdorf steht seit 2010 eine Porträtbüste.
In Wien erinnert die Hellgasse in Ottakring an den Forscher. Prestigeträchtiger ist jedoch der nach ihm benannte 32 Kilometer große Mondkrater Hell, der sich auf der Südhälfte des Mondes ganz in der Nähe des berühmten Kraters Tycho befindet.
... und seine Phantome
Die Identität der übrigen übermalten Personen wird vermutlich ein Rätsel bleiben. Doch auch aus der jüngeren Geschichte des Gemäldes bleiben Fragen offen, denn selbst bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts wurde an dem Bild herumgepinselt: Eine große Kristallstufe zu Füßen Abbé Marcys taucht in einem Wochenschaubeitrag über das Museum aus dem Jahr 1938 noch nicht auf. Wann und von wem diese Ergänzung veranlasst wurde, bleibt ungeklärt. (Michael Vosatka, DER STANDARD, 8.10.2014)