Der Golden Delicious ist der mit Abstand weitverbreitetste Apfel im Land - und sei es als geschmacksbestimmende Einkreuzung in anderen Handelssorten.

Foto: Lukas Friesenbichler
Foto: Lukas Friesenbichler

Der Apfel, wie wir ihn kennen, verdankt seine Existenz wahrscheinlich Bärenkot. Die Vorfahren der Frucht stammen aus den Tian-Shan-Bergen in Zentralasien. Dort wuchern seit Urzeiten Apfelbäume wild im Wald und tragen großteils harte, kleine, garstig-saure Früchte. Die Bären der Gegend aber erbarmten sich des Apfels und fraßen ihn trotzdem. Weil auch der Bär seinen Apfel lieber süß und saftig mag, wurden solche genetischen Ausreißer öfter verspeist - und ihre Samen samt einem Haufen Kot als Startdünger über die Wälder verteilt. Das brachte den Bäumen mit süßen, weichen Äpfeln einen entschiedenen evolutionären Vorteil. Den Rest bilden viele Jahrtausende menschlicher Veredelung.

Heute mögen nicht nur kasachische Bären den Apfel. International muss er sich nur der Wassermelone als weltweit meistverzehrte Frucht geschlagen geben, in Österreich aber ist er die Nummer eins. Etwa 165.000 Tonnen werden jährlich hier verspeist, das entspricht einem Verbrauch von knapp 20 Kilo pro Person. Mehr als ein Viertel des gesamten österreichischen Obstkonsums entfällt damit auf den Apfel. Doch in Apfelzüchter- und, vor allem, in Apfelvermarkterkreisen geht die Angst um, dass das nicht für immer so bleibt.

Apfelkonsum rückläufig

Seit langem nämlich ist die Zahl verzehrter Äpfel rückläufig, in den vergangenen fünf Jahren sank der Apfelkonsum um mehr als zehn Prozent - die Banane, die Nummer zwei im Obsthandel, ist zwar noch weit abgeschlagen, rückt aber näher. So groß ist die Apfelmüdigkeit, dass die vergangene Ernte noch gar nicht aufgegessen ist: Tonnenweise Äpfel vom Sommer 2013 lagern noch bei den großen Vermarktern und konkurrieren auf dem Markt mit der neuen Ware.

2014 wird die Ernte in Österreich zwar nur durchschnittlich ausfallen - europaweit steht aber eine Rekordapfelernte ins Haus: 13 Millionen Tonnen sollen es werden, in einem normalen Jahr sind es um gute drei Millionen Tonnen weniger. Gleichzeitig hat Russland ein Importverbot für europäische Nahrungsmittel verhängt. Zwar gehen relativ wenige österreichische Äpfel über den Ural - weil aber die Apfelpreise international gemacht werden, trifft das die heimischen Bauern über Umwege trotzdem.

"Fünf Millionen Euro hat uns das bisher gekostet", sagt Thomas Reiter, Chef von Opst, der Organisation hinter "frisch, saftig, steirisch", und Österreichs größte Apfelerzeugerorganisation. "Wir rechnen fix damit, dass sich bis zu zehn Prozent der heimischen Apfelbauern ernsthaft überlegen werden aufzuhören." Mindestens 40 Cent pro Kilo brauche ein konventioneller Apfelbauer, um gut von seinen Früchten leben zu können, meint Reiter. Derzeit bewegen sich die Preise teilweise bei nicht einmal 25 Cent, und das für eine Frucht, die Jahrtausende menschlicher Kulturgeschichte geprägt hat.

Frucht an und für sich

Der Apfel gilt als die erste Frucht, die von Menschen kultiviert wurde. Alexander der Große soll ihn von seinen Feldzügen aus Kasachstan mitgebracht haben, von dort schlich er sich in die griechische Mythologie, in germanische Sagen und deutsche Märchen, er fand seinen fixen Platz in Schweizer Heldenmythen, märchenhaften Erweckungsmomenten und Paradiesvertreibungen, er wurde zur Insignie diverser Kaiser, zum Spitznamen der vielleicht tollsten Stadt der Welt und zum Firmenzeichen des zweitprofitabelsten Computerkonzerns. Vieles davon verdankt er allerdings nicht seinem guten Geschmack oder seiner gesunden Wirkung, sondern seinem Namen.

Dem Botaniker ist der Apfel als Malus domestica bekannt. Der "Baum der Erkenntnis von Gut und Böse" ("bonum et malum" auf Lateinisch), von dem Adam und Eva nicht essen durften, wurde dank dieser sprachlichen Ähnlichkeit irgendwann zum Apfelbaum. Laut Fruchtforschern spricht auch vieles dafür, dass Paris Aphrodite ursprünglich eine goldene Quitte gab, und auch die Hesperidenäpfel sollen einst Quitten gewesen sein - weil aber das Wort "Apfel" bis ins 17. Jahrhundert schlicht alle fremden Früchte bezeichnete, übernahm Malus domestica irgendwann einen Großteil der tragenden Fruchtrollen in den antiken Dramen.

70.000 Sorten

So vielfältig wie seine Verwendung, so zahlreich sind auch die Auswüchse von Malus domestica: Mehr als 70.000 Apfelsorten zählt die Wissenschaft. Die Plant Genetic Resource Unit des US-Landwirtschaftsministeriums soll über die größte Apfelsammlung der Welt verfügen, im Staat New York baut sie mehr als 2500 verschiedene Äpfel an. Als Harold McGee, Kochkolumnist der "New York Times", sich durch diesen Garten kostete, kam er aus dem Staunen nicht heraus: Manche Früchte schmeckten nach Orangenschale und Zitrone, Erdbeere, Ananas, grüner Banane, andere nach Rhabarber, Popcorn und Erdapfel, nach Rosen, Anis, Fenchel und Nüssen. Wer hingegen in einen Supermarktapfel beißt, ist oft froh, wenn dieser überhaupt nach Apfel schmeckt. An dieser Verarmung der Aromen sind vor allem zwei Dinge schuld: jahrzehntelange Inzucht - und die erstaunliche Lagerfähigkeit des Apfels.

Die Züchtungen der vergangenen Jahrzehnte haben fast immer auf die gleichen sechs Eigenschaften gesetzt: regelmäßig hohe Erträge, frühe Reife, einheitliche Form und Größe, süßer Geschmack, lange Lagerfähigkeit und ein langer Stängel, der die Ernte vereinfacht. Fast alle neuen Sorten der vergangenen 100 Jahre gehen auf fünf Stammsorten zurück. Österreichs Apfel Nummer eins, der Golden Delicious, ist sogar im Stammbaum jeder zweiten dieser Sorten vertreten. "Der Geschmack dieser Sorten ist daher immer sehr ähnlich", sagt Andreas Spornberger, Pomologe an der Boku in Wien. "Die meisten haben das Golden-Delicious- Aroma".

Gib Gas

Hinzu kommt, dass der Apfel sich erstaunlich lange hält, bis in den Februar hinein können späte Sorten sich im Keller halten. Um aber das ganze Jahr über Äpfel anbieten zu können, werden die Früchte für den Großhandel nach der Ernte in sogenannte CA- (steht für Controlled Atmospheric-) Lager gebracht. Die Temperatur dort liegt bei knapp über null Grad, die Luftfeuchtigkeit ist hoch, der Sauerstoffgehalt möglichst gering, dafür wird CO2 eingeblasen. Das soll verhindern, dass die Äpfel atmen und zu schnell nachreifen. So gelagert, halten sich manche Sorten leicht ein Jahr lang - "wenn sie aus dem Lager kommen, schmecken sie aber mitunter nicht mehr so frisch, wie sie aussehen", sagt Spornberger. Um im Lager gut zu bestehen, werden die Früchte zudem unreif geerntet. "Je später man erntet, desto besser ist das Aroma, desto größer ist aber auch das Risiko, dass die Früchte krank werden."

Alte Sorten

Seit einigen Jahren gibt es Bemühungen, wieder vermehrt alte Sorten einzukreuzen, vor allem im Bioapfelbau. Weil Apfelbäume recht lange brauchen, bis aus einer Blüte eine fertige Frucht wird, sind sie anfällig für Krankheiten und Schädlinge, ihr konventioneller Anbau ist pestizidintensiv. Wer auf den Einsatz von Spritzmitteln verzichten will, der braucht Pflanzen mit guten Genen mit starken Resistenzen. Und auch der Geschmack wird wieder vermehrt ein Züchterthema, meint Spornberger. Topas, der führende Apfel im Bioanbau, habe etwa einen recht klassischen "Alte-Sorten-Geschmack".

Des Pomologen Lieblingssorte ist der Gravensteiner, ein uralter, aus Dänemark stammender, früher Apfel, mit sehr fruchtigem Aroma. Besonders wohlschmeckende Sorten, die im Spätherbst noch zu haben sind, sind laut Profi Kronprinz Rudolf ("eigener Geschmack, hat seine Liebhaber" sagt Spornberger) oder Cox Orange. Wem das nicht ursprünglich genug ist, dem bleibt immer noch die Reise nach Kasachstan. In den Wäldern des Tian Shan wachsen noch heute zahlreiche von Bären veredelte Sorten. (Tobias Müller, Rondo, DER STANDARD, 10.10.2014)