Leipzig/Kasan - Wie häufig bestimmte Wörter in einer Sprache verwendet werden, ändert sich ständig. Neue Wörter tauchen auf, andere verschwinden. Doch wie sich die Dynamik dieser Veränderungen in Sprachen gestaltet, ist wenig erforscht. Forscher um Søren Wichmann vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und der der Kasaner Föderalen Universität in Russland haben jetzt mithilfe des Google-Programmes "Ngram Viewer" die Evolution des englischen Wortschatzes im Vergleich zum russischen, deutschen, französischen, spanischen und italienischen untersucht.

Sie stellten dabei fest, dass Kriege und andere umfassende gesellschaftliche Veränderungen die Evolution des Wortschatzes beschleunigen können. In Zeiten der Stabilität verändert sich das Vokabular einer Sprache hingegen langsamer, wie die Forscher im Fachblatt "Journal of the Royal Society Interface" schreiben.

Data-Mining

Konkret verfolgten die Wissenschafter den Gebrauch von Wörtern über fünf Jahrhunderte hinweg. Der "Google Ngram Viewer" untersucht mittels Data Mining, wie häufig in gedruckten Publikationen ausgesuchte Wortfolgen, sogenannte n-grams, gebraucht werden. Wichmann und seine Kollegen konzentrierten sich bei der Analyse auf einzelne Wörter, so genannte 1-grams, aus sechs verschiedenen Sprachen und darauf, wie oft diese von Jahr zu Jahr verwendet wurden.

Bei der Auswertung der Daten zeigte sich, dass gravierende Veränderungen mit historischen Ereignisse korrelieren, etwa mit den beiden Weltkriegen oder der Oktoberrevolution in Russland. "Jede gesellschaftliche Umwälzung zieht auch eine veränderte Wortschatzverwendung nach sich", so Wichmann. "Wenn ein Krieg ausbricht oder eine Revolution stattfindet, werden der Sprache neue Wörter hinzugefügt, die die Veränderungen widerspiegeln, denen die Menschen in ihrem Lebensraum ausgesetzt sind." In Zeiten der Stabilität, wie etwa im Viktorianischen Zeitalter in Großbritannien, bleibe der Wortschatz hingegen relativ konstant.

Universelle Trends

Genauer untersuchten die Forscher die Unterschiede im Wortgebrauch zwischen dem amerikanischen und dem britischen Englisch. Diese beiden Formen des Englischen hatten sich seit den 1850er Jahren mehr und mehr auseinander entwickelt, nähern sich einander aber seit den 1950er Jahren wieder an. "Möglicherweise wird diese Entwicklung durch den Einfluss der Massenmedien bedingt ", so Wichmann.

Generell stellten die Forscher fest, dass sich die am häufigsten gebrauchten Wörter einer Sprache - wie Artikel, Präpositionen und Konjunktionen - über längere Zeit hinweg kaum verändern. Auch der Kernwortschatz, der 75 Prozent der geschriebenen Sprache ausmacht, verändere sich langsamer. Seltener verwendete Wörter hingegen wandelten sich demnach häufiger. "Wenn man einen größeren Zeitraum betrachtet, zeigt sich, dass sich historisch begründete Veränderungen im Wortschatz der Einzelsprachen wieder aufheben. Im Prinzip verhalten sich die Sprachen dabei sehr ähnlich", so der Forscher. (red, derStandard.at, 12.10.2014)