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Erst wird der Zugang erschwert, dann das Pflegegeld erhöht. SP-Volksanwalt Günther Kräuter kritisiert das.

Foto: apa/gindl

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Die Neuregelung des Pflegegeldes im Überblick.

Grafik: apa

Wien – Die Finanzierung des heimischen Pflegesystems ist seit Jahren eine Dauerbaustelle. Die Kosten steigen von Jahr zu Jahr, aktuell werden rund drei Milliarden Euro aufgewendet. Aktuell beziehen mehr als 450.000 Menschen Pflegegeld. Zum Vergleich: Vor 20 Jahren waren es gerade einmal 230.000. Im OECD-Schnitt weist Österreich den höchsten Anteil an Pflegegeldbeziehern auf.

Um diesen Trend zumindest mittelfristig abzuschwächen, verschärft das Sozialministerium bei Neuanträgen ab 1. Jänner 2015 die Zugangsbestimmungen zu den untersten zwei Stufen. Derzeit beziehen rund 236.000 Personen Pflegegeld in Stufe 1 und 2.

Mehr Stunden nachweisen

Künftig ist ein Pflegebedarf von mindestens 65 Stunden pro Monat (bisher 60 Stunden) erforderlich, um Pflegegeld in der Stufe eins zu bekommen. Bei Stufe zwei muss ein Pflegebedarf von mindestens 95 Stunden (bisher 85) nachgewiesen werden. Bei den Stufen drei bis sieben ändert sich nichts. Das Ministerium geht davon aus, dass durch diese Maßnahme im kommenden Jahr nur 65.000 statt der erwarteten 71.000 neuen Pflegegeldbezieher dazukommen.

Auf der anderen Seite werden ein Jahr später, also ab 1. Jänner 2016, die Pflegegeldstufen um zwei Prozent angehoben. Es ist die erste Anpassung seit 2009, gab Minister Rudolf Hundstorfer am Montag bekannt. Hilfseinrichtungen hatten bereits wiederholt darauf gedrängt.

50 Millionen Mehrkosten

In Stufe eins gibt es künftig 157,30 Euro (statt bisher 154,20), bei Stufe zwei sind es 290 Euro (bisher 284,30), bei der letzten Stufe steigt der Satz von 1655,80 auf 1688,90 Euro. Im Schnitt liegt die Steigerung bei 111 Euro pro Jahr. Im Staatshaushalt schlagen sich die Mehrkosten mit 50 Millionen Euro zu Buche.

Kritik von SP-Volksanwalt

Kritik an der Reform kommt von SP-Volksanwalt Günther Kräuter. Unverständlich ist für ihn, dass der Zugang schon 2015 eingeschränkt werden soll, die Anhebung des Pflegegeldes aber erst 2016 kommt. "Genau umgekehrt muss die Formel lauten, Valorisierung jetzt, Stufenanpassung später", fordert Kräuter.

"Es kann nicht sein, dass Menschen, die im Jahr 2015 entweder 60 oder 85 Stunden Pflege benötigen, die künftige Anpassung des Pflegegeldes mitfinanzieren müssen", kritisiert Kräuter die Pläne des Sozialministers, die Dienstagvormittag in Begutachtung gingen.

Außerdem fordert Kräuter via Aussendung die Untersuchung der sozialpolitischen Folgen der geplanten Einschränkung des Zugangs zu den Pflegestufen 1 und 2. "Rein fiskalische Argumente" greifen für ihn zu kurz. "Die Betroffenen warten nun seit dem Jahr 2009 auf eine Erhöhung, dies nun mit einer Verschärfung und Vertröstung zu quittieren ist aus Sicht der Volksanwaltschaft abzulehnen", so Kräuter.

Abgelehnt wird dies auch von der FPÖ. Pflegesprecher Norbert Hofer verweist darauf, dass Österreich relativ geringe Mittel (1,2 Prozent der Wirtschaftsleistung) in Langzeitpflege investiert, sich gleichzeitig aber "suboptimale Organisationsstrukturen" im Gesundheitswesen leiste. Er fordert daher Einsparungen im Gesundheitswesen und eine Umschichtung der freiwerdenden Mittel in die Pflege. Die angedachte Erhöhung des Pflegegeldes im Jahr 2016 um zwei Prozent bei gleichzeitiger Erschwerung des Zuganges zu den Pflegestufen 1 und 2 werde die Situation nicht entschärfen, so Hofer.

"Verschlägt den Atem"

Kritik kommt auch vom Dachverband der Behindertenorganisationen. Die "Reform" von Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) "verschlägt Menschen mit Behinderungen den Atem", so Klaus Voget von der Österreichischen Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (ÖAR).

Voget erinnert daran, dass die Zugangskriterien für die Pflegestufen 1 und 2 schon 2011 erschwert wurden. "Jetzt werden die Daumenschrauben noch mehr angezogen", kritisiert der Behindertenvertreter, der außerdem darauf verweist, dass 55 Prozent der Pflegegeldbezieher in die ersten beiden Pflegestufen fallen.

Voget hofft nun auf einen Aufschrei der Seniorenorganisationen, weil die Verschärfung vor allem Personen mit altersbedingten Behinderungen treffen werde. Auch Menschen mit Lernschwierigkeiten, mit psychischer Beeinträchtigung und Kinder hätten Verschlechterungen zu erwarten. "Leidtragende sind die Betroffenen und ihre Angehörigen, die Pflege und Betreuung offenbar gratis übernehmen sollen", so Voget.

Caritas: Erhöhung "viel zu niedrig"

Auf eine deutlich stärkere Anhebung des Pflegegeldes pocht indessen die Caritas. "Die Erhöhung des Pflegegeldes ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber angesichts des Wertverlustes von rund 30 Prozent viel zu niedrig", so Generalsekretär Bernd Wachter. Auch er sieht durch die Einschränkung der Stufen 1 und 2 vor allem Menschen mit beginnender Demenz sowie mit Lernschwierigkeiten betroffen. Zudem sei auch die Heimhilfe erst mit Bewilligung des Pflegegeldes möglich.

Das Rote Kreuz lehnt die geplanten Einschränkungen bei den Pflegestufen 1 und 2 ebenfalls ab. "Bei allem Verständnis für die angespannte Budgetsituation - Sparmaßnahmen auf Kosten von Schwachen halte ich für keine gute Idee", so der Vizegeneralsekretär Michael Opriesnig.

Abgelehnt wird die Einschränkung der Pflegestufen 1 und 2 auch von den parteinahen Organisationen Volkshilfe (SPÖ) und Hilfswerk (ÖVP). Volkshilfe-Geschäftsführer Erich Fenninger begrüßt zwar die für 2016 angekündigte zweiprozentige Erhöhung, sieht die Zugangsbeschränkung aber als "sehr harten Schritt". Hilfswerk-Präsident Othmar Karas verweist außerdem darauf, dass für eine echte Inflationsanpassung des seit 1993 nur drei mal (1994, 2005, 2009) angehobenen Pflegegeldes 860 Mio. Euro nötig wären.

Hundstorfer: Österreich "Weltmeister"

Hundstorfer verteidigte am Dienstag die geplanten Änderungen. Niemandem werde etwas "weggenommen", sagte er vor dem Ministerrat.

"Wir werden 2015 trotzdem mehr Menschen im Pflegesystem haben", so Hundstorfer - aber eben nur 65.000 statt 71.000. Es gebe einen "enormen Anstieg" bei der 24-Stunden-Pflege, deshalb müsse bei den unteren Pflegegeldstufen justiert werden. Österreich sei jedenfalls "Weltmeister", was die Pflegeförderung angehe, 5,2 Prozent der Bevölkerung bezögen Pflegegeld. Zum Stufensystem stehe er weiterhin, um es aufrechtzuerhalten, müssten eben "von Zeit zu Zeit Korrekturen" durchgeführt werden.

Angesprochen auf die Kritik von Volksanwalt Günther Kräuter, dass die Valorisierung vor der Stufenanpassung durchgeführt werden sollte, meinte Hundstorfer nur: "Das ist sein Problem, nicht meins." Nachsatz: "Das hab ich ihm auch schon gesagt."

Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) betonte im Pressefoyer nach der Regierungssitzung, dass der Sozialminister mit allen betroffenen Organisationen das Gespräch gesucht habe. Generell seien die Änderungen bei der Pflege ein Beispiel dafür, wie die Regierung in ihren "Besprechungen" auf "Qualität, Verbesserung, aber auch Veränderung" setze. (go, APA, derStandard.at, 7.10.2014)