Kobanê - Die Milizen der Terrororganisation "Islamischer Staat" stehen drei Wochen nach Beginn ihrer Offensive offenbar kurz vor der Einnahme der Stadt Kobanê im Norden Syriens. Die noch von Kurden gehaltene Stadt drohe bald zu fallen, warnte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan am Dienstag beim Besuch eines Flüchtlingslagers für Syrer. Die radikalislamischen Kämpfer könnten nicht mit Luftangriffen aufgehalten werden.

Milizen der sunnitischen Extremistengruppe haben Randbezirke der Stadt in unmittelbarer Nähe zur türkischen Grenze unter ihre Kontrolle gebracht. Nach Angaben der syrischen Opposition versuchten die IS-Kämpfer weiter in Richtung Stadtzentrum vorzustoßen. Seit Beginn der Kämpfe wurden demnach mehr als 400 Menschen getötet. Angesichts der immer aussichtsloseren Lage der kurdischen Truppen in der Stadt rief Frankreich den NATO-Partner Türkei zur Hilfe auf.

US-Generalstabschef Martin Dempsey äußerte in einem Gespräch mit dem US-Sender ABC die Befürchtung, Kobanê könnte bald an die IS-Milizen fallen.

Fabius: "Tragödie bahnt sich an"

Der französische Außenminister Laurent Fabius sagte zu Abgeordneten: "Es bahnt sich eine Tragödie an, und wir alle müssen handeln." Er kündigte an, Präsident Francois Hollande werde noch am Dienstag mit Erdogan telefonieren, um zu erörtern, wie angesichts der dringlichen Lage reagiert werden könnte.

Bild nicht mehr verfügbar.

Hohe Rauchwolken waren am Dienstag über Kobanê zu beobachten. Bei den Kämpfen sollen mehr als 400 Menschen ums Leben gekommen sein.
Foto: ap/Lefteris Pitarakis

Rauchwolken über östlichen und zentralen Vierteln

Am Dienstag stiegen über den östlichen und zentralen Vierteln Kobanês weiße Rauchwolken auf. Am Morgen waren Luftangriffe und Schusswechsel zu hören. Die USA und ihre Verbündeten unterstützen die Kurden in ihrem Abwehrkampf aus der Luft. Von der Grenze aus waren zwei schwarze IS-Fahnen über den östlichen Außenbezirken auszumachen. Die IS habe in der Nacht mehrere Gebäude im südwestlichen Stadtrand eingenommen, berichtete der Chef der Syrischen Beobachterstelle für Menschenrechte, Rami Abdulrahman. Dort hätten sich die IS-Milizen ungefähr 50 Meter weit in die Stadt vorgekämpft.

Bild nicht mehr verfügbar.

Schwarze IS-Fahnen über Kobanê
Foto: EPA/SEDAT SUNA

Die Vertreterin der kurdischen Verwaltung, Asya Abdullah, bestätigte der Nachrichtenagentur Reuters, es gebe heftige Kämpfe in den Randgebieten der Stadt. Abdullah, die von Kobani aus telefonierte, sagte, die IS-Kämpfer hätten die Stadt mit schweren Waffen und Artilleriegranaten angegriffen. Rund 2.000 Kurden, darunter viele Frauen und Kinder, flüchteten auf die türkische Seite der Grenze. Insgesamt sind nach Expertenschätzungen rund 180.000 Menschen vor den vorrückenden IS-Kämpfern aus der Region Kobanê geflohen.

Granaten auf türkischem Gebiet

Das deutsche Außenministerium warnte vor Reisen an die türkisch-syrische Grenze. Im Bereich Kobanê seien wiederholt Granaten auf türkischem Gebiet niedergegangen. Außerdem könnten Anschläge und Entführungen im Grenzgebiet nicht ausgeschlossen werden.

"Wir haben den Westen gewarnt. Wir wollten drei Dinge: eine Flugverbotszone, einen Sicherheitsstreifen und die militärische Ausbildung moderater syrischer Oppositionsgruppen", sagte Erdogan. Anzeichen für ein Eingreifen der türkischen Armee gab es zunächst nicht, obwohl mehr als 20 Panzer direkt an der Grenze zu Syrien aufgefahren waren.

Sturz Assads als Bedingung

Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu bekräftigte, dass die türkische Bedingung für ein Eingreifen der Sturz des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad sei. "Wir wollen das Regime nicht mehr an unserer Grenze haben", sagte Davutoglu dem Sender CNN. Wenn Assad mit seiner brutalen Politik an der Macht bleibe, würden nach einem Sieg über die IS neue Terrororganisationen entstehen.

Allerdings riskiert die türkische Regierung ein Wiederaufflammen des Konflikts mit der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK). Deren inhaftierter Chef Abdullah Öcalan hatte ein Ende des Friedensprozesses mit der türkischen Regierung angedroht, sollte es in Kobanê zu einem Massaker kommen. Gegen die IS kämpfen in Kobanê kurdische Volksverteidigungseinheiten (YPG), die mit der PKK verbündet sind.

Bild nicht mehr verfügbar.

Foto: APA/EPA/Suna

Die US-geführte Koalition gegen die IS lehnt bisher eine Flugverbotszone über Syrien ab, da sie dann die syrische Luftwaffe angreifen müsste. Das aber will US-Präsident Barack Obama nicht. Seit Ende September haben die USA die Luftangriffe auf IS-Stellungen in Syrien ausgeweitet, nachdem sie Anfang August mit Luftschlägen im Irak begonnen hatten. Nach US-Angaben sollen demnächst auch Apache-Kampfhubschrauber im Irak eingesetzt werden, um die irakischen Regierungstruppen besser zu unterstützen.

In Syrien haben die USA zwar Assad nicht um Erlaubnis für die Angriffe gefragt, ihn aber über diplomatische Kanäle darüber informiert. Die syrische Regierung, die von westlichen Staaten für den Bürgerkrieg und das Erstarken der IS verantwortlich gemacht wird, sucht eine Annäherung über den gemeinsamen Kampf gegen die sunnitischen Extremisten. (APA/Reuters, 8.10.2014)