Sie tragen ihre Waffe wie ihr liebstes Spielzeug und deklamieren Hasspredigten, wie es die Großen vorgeben – der Alltag der Kinder unter der Herrschaft der IS-Miliz ist nicht mit dem eines durchschnittlichen Kindes zu vergleichen. Militärische Ausbildung und tägliche Lehren über den Koran, wie ihn die Terrormiliz interpretiert und predigt, stehen schon im jungen Alter an der Tagesordnung. "Die IS legt viel Wert darauf, die zukünftige Generation propagandistisch auszubilden", so Thomas Schmidinger, Politikwissenschafter an der Universität Wien.
Rekrutierungscamps
In ihrem im September veröffentlichten Bericht erwähnte Leila Zerrougu, UN-Repräsentantin für Kinder und bewaffnete Konflikte, dass die Terrormiliz Kinder schon im Alter von 13 Jahren beauftragt, Waffen zu tragen, strategisch wichtige Orte zu bewachen und Zivilisten zu verhaften. Einige Kinder sollen auch als Selbstmordattentäter eingesetzt worden sein. In einer im Nordosten von Raqqa gelegenen Provinz soll die IS-Miliz ein Trainingscamp errichtet haben, das Al-Sharea’l Camp, in dem Burschen unter 16 Jahren in die Ideologie des Islamischen Staates eingewiesen werden und militärisches Training erhalten, berichtet der britische "Telegraph".
"Nachdem die Kinder den Umgang mit Kalaschnikows und RPGs (Panzerabwehr-Granatwerfer) gelernt haben, werden sie in zwei Gruppen geteilt: Die einen werden zu Selbstmordattentätern ausgebildet, die anderen zu Kämpfern", erzählt Ibrahim al-Raqqawi, ein syrischer Aktivist, gegenüber dem "Telegraph". "Bevor die jungen Soldaten ihren Abschluss machen, werden die Kinder gezwungen, ihre neu erlernten Fähigkeiten auch praktisch anzuwenden, indem sie einen Gefangenen entweder foltern oder töten sollen."
Die meisten Kinder sind Söhne von aus dem Ausland angereisten IS-Kämpfern. Es wird jedoch auch von Fällen berichtet, in denen Kinder verschleppt und dann in den Camps rekrutiert wurden ‑ ohne das Wissen oder die Zustimmung der Eltern. "Es gibt Fälle, in denen ganze Schulbusse entführt wurden", erzählt Schmidinger. "Viele Kinder wurden in Gefangenenlager oder Koranschulen gesteckt. Frauen und Mädchen wurden versklavt und verkauft oder sind teilweise einfach verschwunden. Die Koranschulen sind also nicht nur mit Kindern von IS-Kämpfern gefüllt, sondern auch mit Kindern von Zivilisten."
Stolze Väter
Nach der Enthauptung des amerikanischen Journalisten James Foley sind nur eine Woche später auf einem Twitter-Account der IS-Bilder eines Kleinkindes aufgetaucht, das die Tat mit einer Puppe nachstellt, berichtet die "Huffington Post". Auf dem geposteten Bild sieht man den kleinen Jungen vermummt, vor einer IS-Fahne, mit Messer in der Hand. Die Puppe trägt denselben orangefarbenen Overall wie die enthaupteten Opfer in den IS-Videos. Auf einem darauffolgenden Bild liegt die Puppe blutbeschmiert und enthauptet am Boden. Ein weiteres Foto schockierte mit einem kleinen Jungen, der einen enthaupteten Kopf in die Kamera hält. Sein Vater, ein angeblich aus Australien in den Jihad nach Syrien geflohener Kämpfer, betitelte das Bild mit dem Satz: "Das ist mein Junge."
Nächste Generation
Laut al-Raqqawi sollen derzeit zwischen 200 und 300 Kinder für die IS-Miliz kämpfen. Was passiert jedoch mit der nachfolgenden Generation, sollte die Miliz fallen? Thomas Schmidinger erkennt hier Ähnlichkeiten mit der Zeit des Nationalsozialismus. "Die Macht des Nationalsozialismus hat nur wenige Jahre gedauert und wurde letztendlich militärisch zerschlagen. Sollte der 'Islamische Staat' bald zerschlagen werden, wird es zwar viele Traumatisierte geben, aber auch dort wäre dann eine Erziehung zur Demokratie möglich." (Alexandra Koller, derStandard.at, 7.10.2014)