Vom 2. bis 5. 10. fand in Berlin rund um die Kreuzberger Markthalle Neun, die seit drei Jahren Produzenten ökologischer, regionaler und fair gehandelter Produkte fördert, ein wirklich eindrucksvolles Event statt – Stadt, Land, Food.
Zentrales Thema des "Festivals" – und es heißt Festival, weil gutes Essen gefeiert werden muss meinen die Initiatoren - ist das Zusammenrücken von kleinen bäuerlichen Produzenten und den Konsumenten in der Stadt. Und das Begreifen, woher denn die Lebensmittel stammen, die man zu sich nimmt. Denn: "Es braucht Vielfalt – auf dem Acker, im Stall und auf dem Teller – Stadt und Land müssen wieder zusammenwachsen."
Um dieses Zusammenrücken auch in die Praxis umzusetzen, wurde ein umfangreiches Programm für die Festival-Besucher auf die Beine gestellt: Vorträge, Diskussionen, Filmdokumentationen, aber auch praktische Workshops, Hidden Dinners, der Kongress "Wir haben es satt" in 37 verschiedenen Locations rund um die Markthalle und nicht zuletzt der wirklich beeindruckende Streetfood Markt, der ausnahmsweise nicht nur am Donnerstag abends, sondern eben täglich und mit wechselnden Standbetreibern und FoodTrucks einen bleibenden Eindruck bei mir hinterließ.
Für alle, die sich einen Überblick über diese so gelungene und im deutschsprachigen Raum im Moment auch einzigartige Veranstaltung machen wollen, habe ich meine Eindrücke im Folgenden zusammengefasst.
Man lernt nie aus - Werkstätten
Stadt, Land, Food Besucher hatten die Möglichkeit unterschiedlichste Lebensmittelhersteller bei der Produktion zu beobachten und teilweise auch selbst mitzumachen.
So hab ich bei der Wurstproduktion eines Fleischhauer-Teams zusehen können, die von Hendrik Hase a.k.a. "Der Wurstsack" (Foodaktivist, Blogger) moderiert wurde. Er interviewte stundenlang leidenschaftlich die Handwerker und erklärte dem ständig wechselnden Publikum, wie die Wurstproduktion funktioniert, welche Produkte verwendet werden und was man eben sonst noch wissen muss.
Die entstandenen Würste wurden dann gleich direkt vor der Markthalle Neun auf den Grill gegeben und konnten verkostet werden – die "Neuseeländische Chiliwurst" hat es mir dabei besonders angetan.
Bereichernd war auch die Käsewerkstatt, denn im lauschigen Innenhof einer Schule konnte man als Konsument viel lernen. Zum Beispiel, wie Käse, Ricotta, Butter, Joghurt überhaupt gemacht werden, wie Mozzarella geformt oder Laibe durch den Affineur geschmiert und verfeinert werden.
Special Guest war das bekannte Nordic Food Lab, das sich der Auslotung bio-chemischer, kulinarischer und sozio-kultureller Prozesse verschrieben hat. Das Kopenhagener Kollektiv aus Köchen, Künstlern und Wissenschaften hat einer kleinen Gruppe an Teilnehmern Einblicke in ihre Arbeit gegeben.
Diskussionen auf hohem Niveau auf der Bühne in der Markthalle Neun
Während vor den Türen der Markthalle der Geschmack im Vordergrund stand, wurden auf der Bühne Inhalte besprochen – mal sehr emotional wie zB während der Diskussion "Zwischen artgerecht und vegan", bei der vom Hardcore-Veganer bis zur Milchbäuerin mit konventioneller Haltung alle hitzig diskutierten und mal visionär wie bei Cory Andreen, der seine Vorschau für die Cafés der Zukunft präsentierte – nämlich weg vom McCafé- Style mit Kuchenvitrine, Espressomaschine und 08/15 Getränkekarte und hin zur aufklärungsorientierten Gästebetreuung komplett mit Beratung, Verkostung neuer Kreationen und Espressi, die – ähnlich wie das sehr besondere Glas Wein - auch mal 25 Euro kosten können.
Alle auf die Straße - Streetfood Thursday & Street Market
Ja, das klingt nach Hipster und ist es auch. Aber es ist noch soviel mehr als das: es ist kulturelle Vielfalt (Kreuzberg!), kulinarisches Extrem und tolle Gespräche mit einigen der mehr als 170 Food Trucker und Händler, die ihre Lebensmittel bzw. fertiges Essen angeboten haben.
Vom Pulled Pork Sandwich, über gegrillte Makrelen, Borschtsch, Kimchi, geräuchterten Knoblauch, Flatbread mit Salsiccia, Ramenburger, Gemüsesortenraritäten, Säfte, Mettwurst im Glas mit Foto vom Schwein, von dem die Wurst stammt und allem Vorstellbaren und Unvorstellbaren, konnte man sich als Foodie im Schlaraffenland fühlen.
Lust am Essen pur, aber auch Lust an den Geschichten, die von den Herstellern und Verkäufern erzählt wurden. Die Foodtrucks waren übrigens international aufgestellt, die Lebensmittelhändler stammten allesamt aus Deutschland.
Versteckt, aber nicht verheimlicht: das Hidden Dinner
Krönender Abschluss für meinen 3-tägigen Aufenthalt in Berlin war das "Hidden Dinner" mit Jungkoch Dylan Watson. Die Hidden Dinner-Reihe wurde von Kavita Meelu (Gründerin "Streetfood Thursday") initiiert und soll eine neue Generation von Kochtalenten zeigen, die mutig und inspiriert Sternerestaurants verlassen und eigene kulinarische Projekte auf die Beine stellen werden.
Ich empfehle jedem, der die Möglichkeit hat, in den Genuss von Dylan Watsons Reihe "ERNST" zu kommen, die Gelegenheit wahrzunehmen. Er ist ein 21-jähriger Koch & Food-Tüftler, der es versteht, mit viel Liebe und noch viel mehr Leidenschaft aus einer einzelnen Karotte ein Geschmackserlebnis zu zaubern. Ok, es gab natürlich noch viel mehr als die eine Karotte, aber ich will ja nicht zuviel verraten und vegetarische Geschmacksexplosionen mit Worten zu beschreiben, ist ja auch nicht so aufregend wie selbst zu kosten.
Mein Fazit: Stadt Land Food ist ein Veranstaltungsformat, in das jede Großstadt investieren sollte, um Stadtbewohner wieder mit den ursprünglichen Lebensmittelproduzenten in Verbindung zu bringen. Dabei wird nicht nur die Arbeit der bäuerlichen Betriebe aufgewertet, sondern auch eine Beziehung hergestellt, die vielerorts leider verloren gegangen ist. (Dani Terbu/The Coolinary Society, derStandard.at, 6.10.2014)
Interview mit den Veranstaltern