Kulturschaffende beklagen, dass Literatur in den höheren Schulen vernachlässigt werde, und zwar, wie sie meinen, sträflich. Da von der zuständigen Ministerin Abhilfe nicht zu erhoffen ist, hat das freiheitliche Magazin "Zur Zeit" diese Woche die Sache in die Hand genommen und mit der Erinnerung an eine Koryphäe der - natürlich deutschen - Literatur den Versuch einer Wende zum Besseren ins Werk gesetzt: Er lebt im Herzen seines Volkes. Vor 100 Jahren fiel Hermann Löns bei Reims.

Wenn selbst wohlwollende Literaturliebhaber als größte Leistung eines Schriftstellers vermerken, er sei bei Reims gefallen, könnte das Zweifel an der Qualität seiner Sprachkunstwerke ebenso wecken wie die Gewissheit nähren, ihnen gehe es nicht in erster Linie um die Kunst, sondern um weltanschauliche Wärme. Und in der Tat: Lange hat sich die Wissenschaft geweigert, die literarische Bedeutung von Hermann Löns zu würdigen, wofür es nur einen Grund geben kann. Das lag zum Teil einfach daran, daß Löns mit seinen wunderbaren Liedern und Tiergeschichten schon zu Lebzeiten unglaublich erfolgreich war. Erfolg schon zu Lebzeiten gilt unter Literaturwissenschaftern zwar eher selten als angemessener Grund, einem Dichter die gebührende Anerkennung zu verweigern, es werden aber die Qualitätskriterien, die sie bei ihrer Verweigerung anlegen, vom "Zur Zeit"-Literaturkritiker zu Recht als unliterarisch durchschaut: Nachdem auch der zweite große Krieg für Deutschland verloren gegangen war, fühlte sich die Germanistik jahrzehntelang bemüßigt, alle Dichter/innen, die nicht in die Emigration gegangen waren, mehr oder weniger in Bausch und Bogen als NS-Barden zu diffamieren ...

Diesem Versuch einer literarischen Ehrenrettung auf dem Umweg über eine Ehre, die Treue heißt, steht nur entgegen, dass es schwer möglich ist, jemanden, der 1914 bei Reims gefallen ist, als NS-Barden zu diffamieren. Das ist auch bei "Zur Zeit" gerade noch rechtzeitig jemandem aufgefallen , weshalb man mit der Fortsetzung des Satzes die Kurve zu kriegen versuchte, ... selbst dann, wenn diese, wie Löns, lange vor der Entstehung des Nationalsozialismus gestorben waren.

Womit der "Zur Zeit"-Germanist seine Begründung für die Geringschätzung Hermann Löns' durch die Germanistik nach dem zweiten großen Krieg zwar selbst widerlegt, aber er weiß ja warum. Nachdem sich schließlich herausgestellt hat, was für menschenverachtende Irrlehren Marxismus und Kapitalismus sind - vor allem im Vergleich zur humanistischen Philosophie des Nationalsozialismus -, und auch sehr viele Menschen begriffen haben, daß Umwelt- und Tierschutz von grundlegender Bedeutung für die Menschheit sind, hat auch die Literaturwissenschaft schließlich begonnen, Hermann Löns als Schriftsteller von hohem Rang zur Kenntnis zu nehmen. Leicht macht man es ihr dabei nicht. Zwar versuchen immer wieder kleinkarierte Geister aus dem linken und grünen Eck, ihm wegen des einen oder anderen Liedes eine ideologische Nähe zum Dritten Reich anzuhängen, aber im Großen und Ganzen wird Löns heute als das anerkannt, was er wirklich war.

Wenn sich kleinkarierte Geister aus dem linken Eck an Blut und Boden literaturwissenschaftlich nicht begeistern können, überrascht das weniger als bei denen aus dem grünen Eck. Aber selbst diese wissen, dass es schon aus zeitlichen Gründen nicht gut möglich ist, jemanden, der 1914 sterben musste, eine ideologische Nähe zum Dritten Reich anzuhängen, aber sehr wohl, ihn wegen des einen oder anderen Liedes zumindest teilweise als einen seiner geistigen Vorläufer einzustufen.

Von jedem derartigen Verdacht frei bleibt ein anderer, der im Herzen seines Volkes lebt und mit seinem Griff zur Feder eine neue hochliterarische Textsorte zum Thema Heimat ersann. Das schrieb Hermann Maier an "Heute". Zu dem in Umlauf geratenen Handyfilm vom Ausseer Kirtag möchte ich Folgendes mitteilen: Zunächst kam ich - wie alle anderen Gäste auch - einer althergebrachten Tradition bei derartigen Zeltfesten nach und genehmigte mir das eine oder andere Bier. Nach Durchsicht des nun vorliegenden Videos stelle ich mit einigem Abstand fest, dass der Gerstensaft seine Wirkung nicht verfehlt hat ... Mir ist klar, dass dieser Auftritt absolut kein rühmenswerter ist, der aber, so oder so ähnlich, selbst in den besten Familien vorkommen soll.

Da ist alles drin, Familie, Tradition, Schuld und Sühne - genau das, was Schüler brauchen. (Günter Traxler, DER STANDARD, 4./5.10.2014)