Konrad Paul Liessmann.

Foto: Heribert Corn

Ein Mann, der Herrn K. lange nicht gesehen hatte, begrüßte ihn mit den Worten: 'Sie haben sich gar nicht verändert.' 'Oh!', sagte Herr K. und erbleichte." Mit wenigen Sätzen bringt Bertolt Brecht in dieser kleinen Geschichte die Dialektik des Wandels auf den Punkt.

Machen wir uns nichts vor: Ab einem gewissen Alter empfindet man in der Regel die Bemerkung, dass man sich gar nicht verändert habe, als Kompliment. Wer angesichts dieses Kompliments erschrickt, wollte sich offenbar verändern - aber niemand hat es bemerkt. Für Herrn K. ist dies fatal. Denn wer neugierig ist, Erfahrungen sammelt, Höhen und Tiefen des Lebens durchmacht, wer sich bildet und lernt, der verändert sich auch.

Als Mensch der geblieben zu sein, der man war, muss als Vorwurf in einer Welt erscheinen, in der nur das zählt, was sich ändert. In sich zu ruhen, seine innere Mitte und seinen Platz in der Welt gefunden zu haben und davon nicht abzurücken, gilt als Sündenfall in einer dynamischen Welt, die uns jeden Tag Neues bringt, vor neue Herausforderungen stellt und uns neue Handlungsweisen, Gedanken und Gefühle abzuverlangen scheint.

Allerdings, die Sache ist vertrackt. Geht es um den Menschen, kann Veränderung auch Anzeichen eines Verfalls sein, dem wir in der Regel mit allen Mitteln entgegenarbeiten, um wenigstens noch einige Jahre so zu bleiben, wie wir sind. Dass er sich nicht verändert habe, hätte Herr K. auch als Bestätigung seines Anti-Aging-Programms auffassen können. Im Leben der Einzelnen spielt - aller Veränderungsrhetorik zum Trotz - der Wandel bei weitem nicht die große Rolle, die die Ideologie der permanenten Veränderungsbereitschaft verkündet. Nach wie vor suchen die meisten Menschen stabile Verhältnisse, beharren auf ihren Gewohnheiten, wollen nicht ständig den Partner oder Arbeitsplatz wechseln, und sind vor allem bemüht, einmal Erreichtes zu bewahren.

Irritierend, bedrohlich

Das Leben besteht aus mehr oder weniger gelungenen Wiederholungen. Verändert sich trotzdem etwas, wird dies nicht selten als bedrohlich, zumindest als irritierend empfunden. Psychologisch gesehen ist die Veränderungsbereitschaft ohnehin ein Vorrecht der Jugend. Diese hat noch wenig zu verlieren, aber viel zu gewinnen, sie muss sich einen Platz in der Welt erst suchen, nicht einen gewonnenen Ort wieder verlassen.

Geht es allerdings um den Wandel von Gesellschaften, Systemen, Vorstellungen und Werten, wird die Sache noch ein wenig komplizierter. Brecht, der Kommunist, war zum Beispiel überzeugt davon, in der DDR einen Staat gefunden zu haben, der die Kraft haben sollte, eine völlig neue, gerechtere und humanere Gesellschaft hervorzubringen. Aus diesem revolutionären Anspruch wurde, wie wir wissen, ein sklerotisches, totalitäres System, das nichts veränderte und schließlich wie ein Kartenhaus zusammenbrach. Nicht alles, was als eine Bewegung wahrgenommen wird, ist eine solche, nicht immer entspricht die Wirklichkeit der Rhetorik und dem Wunschdenken der Menschen.

Imperative und die Sehnsucht

Dass Wandel, Dynamik, Beschleunigung und Veränderung solch einen hohen Stellenwert haben, ist allerdings ein relativ neues Phänomen, das erst in der Moderne programmatisch wurde. Natürlich verändert sich immer etwas, denn Leben bedeutet Veränderung. Nichts bleibt, wie es ist. Kinder sind anders als ihre Eltern, und die Neugier der Menschen, ihr Drang nach Wissen, ihre Sehnsucht, nicht nur etwas zu wiederholen, sondern einmal auch etwas anderes zu versuchen, war immer schon ein starker Motor kultureller und gesellschaftlicher Dynamik.

Der Philosoph Peter Sloterdijk hat in dem Buch "Die schrecklichen Kinder der Neuzeit" allerdings darauf aufmerksam gemacht, dass bis zur Schwelle der Moderne die Legitimation jeder Kultur darin bestand, etwas hervorzubringen, das es wert war, bewahrt und weitergegeben zu werden. In einer von Traditionen bestimmten Gesellschaft übernehmen die Kinder die Werte, Sitte, Normen und Konzepte der älteren Generation, sie modifizieren diese vielleicht, aber sie fügen sich in sie ein.

In einer dynamischen Gesellschaft erwarten wir von den nachfolgenden Generationen, dass sie alles anders machen werden, dass sie in einer anderen Welt leben werden und wir ihnen deshalb wenig mitzugeben haben. Das macht das Leben übrigens nicht leichter - weder für die Älteren, die nichts mehr vorzuweisen haben, noch für die Jüngeren, an die unerfüllbare Erwartungen gerichtet werden.

Die modernen Gesellschaften machen Schluss mit allen Traditionen und entwickeln gerade deshalb ein ganz besonderes Sehnsuchtsverhältnis zu diesen. Wir stehen zweifellos unter dem Imperativ, alles neu und anders zu machen als bisher. Sogar eine wertkonservative Partei wie die ÖVP muss sich, so konnten wir unlängst lesen, "neu erfinden", um noch eine Chance zu haben. Das heißt, es gibt keinen Konservativismus mehr in einem politischen Sinn: Wer bewahren will, hat unrecht!

Akteure und Betroffene

Wir müssen uns verändern, weil sich die Welt rasant verändert, in der wir leben. Schulen müssen sich an geänderte Verhältnisse anpassen, Unternehmen müssen auf geänderte Märkte reagieren, die Menschen müssen mit den neuen Technologien in der Kommunikation, im Verkehr, in der Medizin umgehen lernen, und die Politik sollte ohnehin auf jeden Wandel reagieren. Aber all diese Veränderungen sind keine Naturereignisse, sondern selbst Resultat menschlichen Handelns. Wir sind stets zugleich Akteure und Betroffene von Veränderungen.

Paradoxerweise sind es gerade diese Veränderungen, die uns auf einer ganz anderen Ebene erlauben, hin und wieder doch mit gutem Gewissen konservativ zu sein: Indem wir etwa gegen den Klimawandel kämpfen. Hier soll es so bleiben, wie es ist, zumindest sollen die Veränderungen gebremst und hinausgezögert werden. Damit wir hier konservativ bleiben können, müssen wir uns allerdings schon auch ein bisschen ändern: Etwa indem wir unsere seit einem Jahrhundert gepflegte Einstellung zum motorisierten Individualverkehr aufgeben.

Und manchmal kann dies, gerade was unser Verhältnis zur Umwelt betrifft, auch bedeuten, Veränderungen rückgängig zu machen und den Versuch zu unternehmen, zu dem zurückzukehren, was einmal war: Begradigte Flüsse werden dann wieder freigegeben, wilde Tiere wiederangesiedelt, verschwundene Obstsorten wieder gezüchtet, durch die Industrialisierung zerstörte Landschaften renaturalisiert. Nirgendwo drückt sich die Sehnsucht nach einer gewissen Stabilität im Wandel deshalb so stark aus wie in der mittlerweile inflationär gewordenen Forderung nach Nachhaltigkeit.

Wer Veränderungen als Modell für sein persönliches und das gesellschaftliche Leben favorisiert, gerät leicht in eine paradoxe Situation. Was immer man tut, verliert im Moment dieses Tuns auch schon seinen Wert, denn alles wird sich verändern. Wer den Wandel managen will, muss vorab damit klarkommen, dass gerade die Schritte, die den Wandel einleiten und bewerkstelligen sollen, im nächsten Moment überholt sein werden. In den immer rascher sich ablösenden Produktzyklen unserer innovativen Konsumgüter ist diese Dynamik am sinnfälligsten zu beobachten.

Immer Neues mit bangen Schatten

Wer immer ein neues Smartphone kauft, weiß, dass er ein veraltetes Gerät gekauft hat, denn das neuere und bessere Modell wartet schon. Das ist einige Zeit sehr lustig und belebt den Markt, irgendwann aber möchte man bei etwas bleiben, das Bestand hat. Die Renaissance der Schallplatte und der dazugehörigen Plattenspieler ist dafür ein wunderbares Beispiel. Währen in den letzten Jahren die Speicher- und Abspielmöglichkeiten digitalisierter Musik immer neue Formen angenommen haben, suggeriert die alte, behäbige, analoge Technik Dauer, Unverwüstlichkeit und Beständigkeit.

Natürlich: Das sind Nischen, aber diese Nischen geben signifikant Auskunft über den Umgang der Menschen mit dem Wechselspiel von Veränderung und Beharrung. Die gern gestellte Frage "Was kommt als Nächstes?" hat einen unausgesprochenen, bangen Schatten, der sie begleitet: "Und was wird bleiben?"

Der Wandel ist kein Wert an sich. Manche Philosophen, wie Friedrich Nietzsche, vermuteten ohnehin, dass hinter den rasenden Veränderungen die ewige Wiederkehr des Gleichen lauert. Und dass es dem Leben prinzipiell darum ginge, sich zu verändern, stimmt auch nur bedingt. Sigmund Freud ging davon aus, dass die Triebe, die uns im Wortsinn bewegen, im Grunde konservativ sind: Alles, was wir tun, tun wir, damit sich möglichst wenig verändert. Dies ist die große Paradoxie des Lebens.

Am Ende aber, so Freud mit einer denkwürdigen Vermutung, will alles Leben zurück zu seinem Ursprung, will zurückkehren in jenen Zustand, in dem es verharrte, als es noch nicht lebte: Ruhe, Stillstand, Mortifikation.

Der Taumel der Veränderungen, in den sich die Moderne geworfen hat, kann so auch als Versuch gedeutet werden, genau diese Einsicht zu verdrängen: dass wir am Ende nur eines wollen - den ewigen Frieden. Diesen aber, Immanuel Kant wusste es, gibt es nur auf dem Kirchhof. Solange wir noch nicht dort sind, sollten wir etwas ändern. Oder auch nicht.

"Die Frage 'Was kommt als Nächstes?' hat einen unausgesprochenen, bangen Schatten." (Aus unserem Jahresmagazin KARRIERENSTANDARDS 2014)