Wien - Vom pulsierenden Club in sphärische Höhen: "Exits and Entrances" heißt der kurzweilige Ballettabend, der mit "BIPED" von Merce Cunningham und "Unitxt" von Richard Siegal zwei einnehmende Choreografien kombiniert - und den Tänzern des Bayerischen Staatsballetts alles abverlangt. Am Donnerstag feierte die Produktion im Tanzquartier Wien im Museumsquartier umjubelte österreichische Erstaufführung.
Kein klassisches Ballettensemble Europas tanze die Choreografien der 2009 verstorbenen Postmodern-Dance-Legende Cunningham derzeit so gut wie dieses, hatte Tanzquartier-Intendant Walter Heun im Vorfeld der Premiere gesagt. "Zweifüßer" heißt "BIPED" übersetzt - und es ist erstaunlich, was die 14 Tänzer des Bayerischen Staatsballetts da im Laufe der 45-minütigen Choreografie auf ein oder zwei Beinen barfuß auf die Bühne bringen. Das 1999 uraufgeführte Stück lässt sie in reflektierenden Glitzer-Kostümen mehrere Bewegungsabläufe simultan durchführen, blitzschnell zwischen formalen, langsamen Parts und ruckartigen, fließenden Bewegungen changieren, mitunter lange in herausfordernden Positionen verharren, die Beine und Arme diagonal oder im rechten Winkel von sich streckend, was dann doch den einen oder anderen Fehlschritt nach sich zieht.
Die sphärischen Klänge des Komponisten Gavin Bryar geben dabei keinen Rhythmus vor; hier sind die Tänzer auf sich allein gestellt. Wie aus dem Nichts betreten sie die Bühne durch einen außerhalb des Lichts befindlichen, schwarzen Vorhang; Männer tauchen urplötzlich neben Frauen auf, tragen sie in das Nichts zurück. Die Paartänze spiegeln und doppeln sich auf der Bühne und werden durch an menschliche Tänzer erinnernde dreidimensionale Visuals auf einer transparenten Wand vor ihnen ergänzt. Die Projektionen sind Ergebnis von Cunninghams Arbeit mit dem Computerprogramm "Life Forms" und seinen Bemühungen, Bewegungsmöglichkeiten des Körpers zu studieren. Es ist diese durch verschwindende und bespielte Wände begrenzte, von wechselndem Licht in Quadrate eingeteilte Bühne, die einen das Raumgefühl mitunter verlieren, die Tänzer mit Leichtigkeit zwischen zwei Welten springen vermuten lässt.
Erdiger ist da "Unitxt" angelehnt, das "BIPED" an diesem Abend vorangestellt wird. Gerade einmal 30 Minuten dauert die im Juni 2013 im Rahmen von "Exits and Entrances" uraufgeführte Produktion von Richard Siegal - und elektrisiert von der ersten bis zur letzten Minute. "Noise" prangt in Versalien auf der Rückenwand der geräumigen Bühne, als sich der Vorhang zu knarzenden Geräuschen aus den Boxen langsam öffnet und bald elektronische Beats von Carsten Nicolai alias alva noto die Halle durchdringen. Aus einem Graben am hinteren Bühnenrand steigen die zwölf Tänzer in Spitzenschuhen energischen Schrittes empor; die Frauen in schwarzen Korsetten und transparentem Stoff, der Arme und Beine verdeckt; die Männer in grauen T-Shirts und Schlabberhosen, ganz im 90er-Jahre-Look eines William Forsythe, dessen Tänzer Siegal einst war.
Licht und Beat, Dramatik und Tempo bestimmen den tänzerischen Marathon an Präzision und Timing, den die sechs Frauen und sechs Männer vorlegen. Ohne sich zu streifen, marschieren sie aneinander vorbei, dabei mehrfach die Richtung wechselnd - Tanz wie auf Fließbändern. Wenn einer oder mehrere von ihnen unisono innehalten, um wie der Durchschnitts-Discobesucher mit dem Kopf auf und ab zu nicken, das Bein erst links, dann rechts zu rücken, wuselt es weiter um sie herum, wechseln sich harte, abrupte Bewegungen mit eleganten Pirouetten, fetzen Männer über den Boden, bekommt das Treiben fast animalische Züge. Wie zu Balzzeiten matchen sich zwei Männer um eine Frau, diese an den Griffen an ihrem Korsett an sich ziehend, dann gegenseitig zuwerfend. Zum Schriftzug "Signal" blitzen Neonröhren an der Seite auf, zu "Silence" erhellt die gleißend weiße Wand den ganzen Raum, die Tänzer zu Schattenwesen machend.
Mitunter weiß man an diesem Abend nicht, wohin man schauen soll, so vielen Reizen ist der Zuseher ausgesetzt, so einnehmend präsentiert sich jeder Einzelne auf der Bühne. Der lang anhaltende Jubel nach jedem Stück gilt zwei großen Choreografen - und 26 herausragenden Tänzern. (APA, 2.10.2014)