Seit gut dreißig Jahren träumen österreichische Politiker einmal mehr, einmal weniger davon, eine Vermittlerrolle in der Weltpolitik spielen zu können - wie einst Bruno Kreisky. Werner Faymann träumt offenbar wieder etwas mehr.

Zwar hat der Bundeskanzler vor seiner Reise nach Kiew am Mittwoch die Erwartungen bewusst gedämpft. Nein, er bringe keinen Friedensplan mit und werde nicht für eine Neutralität nach österreichischem Muster werben. Nein, er habe keine Botschaft des russischen Präsidenten Wladimir Putin, mit dem Faymann vor wenigen Tagen 20 Minuten lang telefoniert hat. Faymann wollte der ukrainischen Führung nur die EU-Positionen übermitteln und seine Unterstützung für die laufenden Friedensverhandlungen zum Ausdruck bringen.

Aber ganz will Faymann doch nicht auf eine Vermittlerrolle verzichten. Dafür seien kleine neutrale Staaten schließlich prädestiniert, war auch von ihm immer wieder zu hören. Aber sind sie das wirklich?

Im Falle Österreichs ist die Antwort ein klares Nein. Unter europäischen Staaten war in den vergangenen Jahrzehnten allein Norwegen, das fest in der Nato verankert ist, ein erfolgreicher Vermittler. Österreich spielt da, genauso wie die Schweiz, keine aktive Rolle. Dass Wien als Verhandlungsort für den Atomstreit mit dem Iran oder bei Konflikten im Kaukasus genutzt wird, liegt daran, dass internationale Organisationen wie die Atomenergiebehörde IAEO und die OSZE hier sitzen. Österreich ist hier nur Gastgeber, nicht Mitspieler.

Beim Ukrainekonflikt hat sich Österreichs Beitrag bisher vor allem darin erschöpft, dass es als eines der schwächsten Glieder in der europäischen Sanktionskette wahrgenommen wird - und damit die geschlossene EU-Front gegenüber dem Kreml untergräbt. Auch wenn Faymann in Brüssel den Sanktionsbeschlüssen zustimmt, wird in Wien kein Hehl daraus gemacht, wie wenig man von solchen Maßnahmen hält. Handfeste wirtschaftliche Interessen, die neben der OMV und Raiffeisen auch die Sberbank Österreich und den Fremdenverkehr betreffen, werden nicht nur von Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl mit Ermahnungen verquickt, dass Sanktionen nie etwas brächten und höchst gefährlich seien. Dass Putin den einzigen bilateralen Besuch im Westen seit Ausbruch der Krise in Wien absolvierte, rundet das Bild eines unsicheren Kantonisten in diesem Konflikt ab.

Sollte Faymann etwa nach Kiew gereist sein, um diesen Eindruck zu verwischen, dann hätte er im Vorfeld auf das Gerede über Neutralität als Modell verzichten sollen. Diese hat schon für Österreich ihren Sinn verloren, für die Ukraine wäre sie völlig absurd. Der Auslöser des blutigen Konfliktes um die Krim und Donezk war ja nicht etwa eine Annäherung Kiews an die Nato, sondern ein Handelsabkommen mit der EU. Und gerade die russische Invasion hat gezeigt, dass die Ukraine für ihre Sicherheit Verbündete benötigt.

Wenn jemand in Europa zwischen Kiew und Moskau vermitteln kann, dann Angela Merkel - aber auch nur, weil Deutschland anders als Österreich klar gegen Putins Aggressionspolitik Stellung bezieht. Faymanns Reisediplomatie war hingegen eine Farce, die zum Glück kaum länger als sechs Stunden dauerte.

Österreich tut gut daran, Beziehungen zu seinen östlichen Nachbarn zu pflegen. Jede Vermittlerrolle aber gehört ins Reich der Träume verbannt. (Eric Frey, DER STANDARD, 2.10.2014)