Erinnerung an einen romantischen Beginn: Ben Affleck und Rosamund Pike spielen in David Finchers "Gone Girl" ein Ehepaar, das sich mit der Zeit immer weniger zu sagen hat.

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Wien - Zum Hochzeitstag wird eine Rätselrallye gegeben. Die Frau, eine Schriftstellerin, schreibt ein paar Verse auf Papier, der Mann muss sie entschlüsseln. Ein gelöstes Rätsel führt zum nächsten Versteck, dort wartet wieder ein Kuvert. Am Ende stößt der Mann auf eine Schachtel, in der zwei Puppen stecken, eine davon mit Schlagstock. Kein Geschenk aus Liebe, sondern das Objekt einer Anklage. Es legt innereheliche Gewaltanwendung nahe.

Oder nur möglicherweise. Denn David Finchers neuer Film Gone Girl, eine Adaption von Gillian Flynns gleichnamigem Bestseller, bewegt sich über weite Strecke im Konjunktiv. Der Thriller ist nur eine Variante dieser Fabel, eine andere könnte ein Ehedrama sein, das ein wenig exzentrischer als sonst aus dem Ruder läuft. Die Frage, wer hier Täter und wer Opfer ist und ob sich die Positionen vielleicht auch verschieben, gehört zur verführerisch maliziösen Versuchsanordnung des Films. Schon das erste Bild, das den Hinterkopf von Amy Dunne (Rosamund Pike) zeigt, setzt vor allem auf einen Moment des Verdachts: Was denkt die Frau an meiner Seite, fragt sich Nick (ein sehr treffend lethargischer Ben Affleck) im Voice Over, und: "Was haben wir einander angetan?"

Eine Antwort lautet: Sie haben sich verliebt. Sie haben geheiratet. Sie haben Geld verloren. Sie sind aus New York in ein Kaff in Missouri gezogen. Dort wurde aus dem vornehmen New Yorker Girl, das sich in ihren Büchern als "Amazing Amy" inszeniert, eine frustrierte Ehefrau und aus dem bubenhaften Charmeur ein biertrinkender Langweiler. Klassenunterschiede, Selbstbetrug, Hass - von den romantischen Scheinwelten einer Stephenie Meyer ist das meilenweit entfernt.

Fincher entwirft in Gone Girl die Geschichte vom Glück eines Paares, das wie der Absatz eines Schuhs immer kleiner wird. Als Nick zu Beginn in einer Bar gelangweilt "Das Spiel des Lebens" spielt, hat er eigentlich schon verloren. Gone Girl erzählt das retrospektiv, ein Teil ist Amys Version, die sie in ihrem Tagebuch nahelegt (das wiederholt in die Erzählung eingeschleust wird). Zu Beginn des Films, am Hochzeitstag, ist sie verschwunden. Spuren im Wohnzimmer und in der Küche legen Gewaltanwendung nahe.

Biegsame Identitäten

Oder nur möglicherweise. Denn wer Finchers Filme kennt, weiß um die Vorliebe für Planspiele, in denen es über einzelne Figuren hinaus auch um übergeordnete Fragestellungen geht. Gone Girl dockt durchaus auch an frühere Arbeiten wie The Game oder Fight Club an: Von Ersterem, einem seiner unterschätzteren Filme, entleiht er die Idee, dass Lebensweisen und damit verknüpfte Identitäten durchaus biegsam, neu erfindbar sind. Ein entferntes Echo an Fight Club findet sich dagegen in der Verhandlung einer krisenhaften Männlichkeit, die sich gegen gesellschaftliche Brandmarkung zur Wehr setzen muss.

Der Ehemann gerät durch eine Verkettung von Indizien mehr und mehr unter Verdacht, seine Frau ermordet zu haben. Finchers Inszenierung, wieder einmal von eiskalter Präzision, kommt dabei wie ein störrischer Motor immer besser Fahrt. Der eher behäbige Genrefilm, der Gone Girl am Anfang noch zu sein scheint, erweitert sich zum Zerrbild einer medialisierten Gesellschaft, die schnell mit Vorverurteilungen ist. Besonders Fox-News -ähnliche TV-Kampagnen mit von Misandrie angetriebenen Moderatorinnen bekommen Häme ab.

Überhaupt treibt die Satire in dem fast zweieinhalb Stunden langen Film immer näher an die Oberfläche. Fincher beweist durchaus auch Lust an grotesker Überzeichnung. Obwohl er Gone Girl wie ein Erzähl-Cluster anlegt, das sich in Teilbereiche verzweigt, verläuft er sich nicht. Die Ehe, das zwischenmenschliche Ungefähr, bleibt der zentrale Angelpunkt dieses vielstimmigen Films. Darin wird nicht nur entschieden, wer die Oberhand über die Erzählung behält, sondern auch das, was die Figuren sein möchten. Ein hartes Match, fürs Leben. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 2.10.2014)