Im mintfarbenen Aufenthaltsraum der Casa del Abuelo im Havanna-Viertel Cayo Hueso sitzen zwei Dutzend aufgeregter Senioren. Mit der ihnen verbliebenen Inbrunst singen die Besucher des Seniorentageszentrums Hasta siempre, comandante - bis in die Ewigkeit, Kommandant (Che Guevara). Von einem Bild hinten an der Wand schaut Fidel Castro der Szene stumm zu.

"Hasta siempre, comandante" - bis in die Ewigkeit singen die Besucher eines Seniorentageszentrums ihrem Kommandanten Che Guevara - der in Kuba allgegenwärtig ist.
Foto: Karin Tzschentke

Veränderung ohne Eile, aber pausenlos

Die sozialistische Ewigkeit Kubas geht allmählich dem Ende zu. Doch noch wird sie lebendig gehalten. Begegnungen wie die oben beschriebene können ebenso als Teil einer Havanna-Tour gebucht werden wie der Besuch bei einem Comité de Defensa de la Revolución (CDR) oder einer Bodega, in der subventionierte Lebensmittel gegen Bezugsschein angeboten werden.

"Kuba ändert sich ohne Eile, aber pausenlos", hat Raúl Castro die Marschrichtung für die Entwicklung der Karibikinsel ausgegeben. Eilig hat es in Kuba ohnehin kaum jemand, schon aus Klimagründen nicht. Die vor wenigen Jahren vom Bruder des Máximo Líder, Fidel Castro, verordnete Ermunterung in Richtung Privatinitiativen kommt bei den Menschen aber gut an - wovon auch und besonders der Tourismus, der mittlerweile wichtigste Wirtschaftszweig Kubas, profitiert.

Die Fassaden der alten Kolonialstädte werden einem gründlichen Facelift unterzogen.
Foto: Karin Tzschentke

Die Fassaden der alten Kolonialstädte, allen voran Havanna, werden einem gründlichen Facelifting unterzogen. Das ganze Land putzt sich für seine devisenbringenden Gäste heraus wie die Tänzerinnen und Tänzer im legendären Cabaret "Tropicana". Dank des kubanischen Bautempos gibt es aber noch genügend Häuser, die für den morbiden Charme des Landes stehen, der Betrachter lange Zeit wohl gleichermaßen entsetzte wie verzückte.

Gastro-Revolution

Zu den schon früher existenten Mochito-Bars mit Buena-Vista-mäßiger Livemusik und staatlichen Restaurants hat sich in den vergangenen Jahren eine große Zahl Paladares gesellt. Anfänglich winzige Familienbetriebe, die im Wohnzimmer Gäste bewirteten, hat sich hier mittlerweile eine kleine gastronomische Revolution vollzogen.

Das "Atelier" im Stadtteil Vedado ist in Havanna zu so einem beliebten Lokal geworden, dass ohne rechtzeitige Reservierung kein Platz mehr zu bekommen ist. Im dritten Stock einer heruntergekommenen Villa aus dem 19. Jahrhundert werden in einer modernen Profiküche die Gäste mit mehr Pfiff und Gewürzen bekocht, als für die kubanische Küche üblich ist.

50.000 bis 100.000 alter Chevys, Cadillacs, Mercurys oder Fords sollen auf Kuba noch unterwegs sein.
Foto: Karin Tzschentke

Es ist wohl eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet US-Embargo und wirtschaftliche Abhängigkeit von der Sowjetunion dem Land vieles von dem beschert haben, mit dem es ausländische Besucher bis heute bezirzen kann: Wo sonst gibt es so viele alte Chevys, Cadillacs, Mercurys oder Fords - die Schätzungen schwanken zwischen 50.000 und 100.000.

Wo sonst stehen so viele Pferdekarren als Transportvehikel vor Plattenbauten in Städten oder Holzhäusern in Dörfern. Und wo sonst bereitet es Touristen so kindisches Vergnügen, in einem umgebauten sowjetischen Militärlaster über die kurvenreichen Straßen der spektakulären Bergwelt der Sierra del Escambray zu brettern.

Die Menschen sind lebensfroh - zumindest nach außen hin ...
Foto: Karin Tzschentke

Jährlich drei Millionen Touristen besuchen derzeit die größte der Antilleninseln. War das Angebot in früheren Jahren vor allem auf Pauschaltouristen zugeschnitten, kommen nun auch Mountainbiker oder Wanderer auf ihre Kosten und vor allem einfach zu Unterkünften. Selbst im letzten Winkel der Insel sind nach der Aufhebung von Restriktionen und einer massiven Steuersenkung im Vorjahr "casas particulares" wie Schwammerln aus dem Boden geschossen. Ab 20 CUC pro Person (etwa 15 Euro) lässt es sich in den kleinen Privatpensionen nicht nur gemütlich nächtigen und frühstücken, sondern auch Einblick in den Alltag kubanischer Familien nehmen.

Der nächste Schritt

Doch neben seinen - zumindest nach außen so wirkenden - lebensfrohen Menschen, den süffigen Rumcocktails und vollmundigen Zigarren, der unter die Haut gehenden Rumba-, Salsa- oder Sonmusik beeindruckt die Karibikinsel mit schnell wechselnder und unverdorbener Natur: Vom Regenwald über Karstfelsen, vom Sumpfgebiet bis zum feinen Sandstrand - diese Vielfalt ist gerade wegen des Fehlens moderner Bodennutzung und Massentierhaltung erhalten geblieben.

... und die Rumcocktails sind süffig.
Foto: Karin Tzschentke

Dass sich dazwischen immer mehr Luxushotels ansiedeln, ist durchaus im Sinne der sozialistischen Regierung. Geld zur Entwicklung der kubanischen Wirtschaft hat kein - kapitalistisches - Mascherl mehr. Für die nächste Revolution im lebendigen Museum der alten Männer will man schließlich gerüstet sein: den Fall des US-Embargos, der massenweise amerikanische Touristen ins Land spülen soll.

Ob ausgerechnet sie den kubanischen Senioren im Tagesheim beim Singen von Hasta siempre zuhören wollen, ist fraglich. Das Lied von der Ewigkeit in der Casa del Abuelo wird wohl allmählich verstummen. (Karin Tzschentke, Rondo, DER STANDARD, 3.10.2014)