Wien - Viel schlimmer kann es mit dem Ansehen der Politiker nicht mehr werden, das Vertrauen der Österreicher in die Politik ist laut einer am Dienstag präsentierten OGM-Umfrage bei 58 Prozent der Wahlberechtigten "in den letzten fünf Jahren" gesunken. Und bei 39 Prozent war es gleich geblieben - auf niedrigem Niveau, denn bei Messungen in früheren Jahren waren die Zahlen bei der Angabe "gesunken" eben höher, die Angabe "gleich geblieben" kleiner.

Der ehemalige ÖVP-Spitzenpolitiker Heinrich Neisser wirkt bei der Vorstellung des Demokratieberichts 2014 wenig optimistisch, "dass man aus dem Demokratiegeplapper herauskommt" - die geplante parlamentarische Enquetekommission bezüglich direkter Demokratie werde wohl in Sachen Wahlrecht wenig bringen. Meinungsforscherin Karin Cvrtila, die mit Neissers "Initiative Mehrheitswahlrecht und Demokratiereform" den Demokratiebericht präsentiert, meint gar: "Wahlen sind nun mal in der Bevölkerung nicht der Hit."

Leadership in Gemeinden

David Campbell von der Österreichischen Gesellschaft für Politikwissenschaft (ÖGPW), der für die Initiative bei Meinungsführern untersucht hat, wo "Political Leadership" vermutet wird, ortet diese vor allem auf Kommunal- und Landesebene - auch die Meinungsforscher betonen das deutlich höhere Ansehen der Politik auf volksnahen Ebenen. Man liebt Demokratie in kleinen Happen.

Was die Frage aufwirft, warum in Österreich der Reformstau immer dann beklagt wird, wenn es der wenig beliebten Bundespolitik nicht gelingt, die beliebten Landes- und Kommunalpolitiker zu entmachten. Campbell versucht, seine Daten dahingehend zu interpretieren, "dass es gut ist, dass es ein föderalistisches System gibt".

Der Verwaltungsökonom Günter Voigt ergänzt auf Nachfrage des Standard: Österreich brauche eine effiziente und bürgernahe Verwaltung, diese könne man aber getrost abgekoppelt von politischen Machtverhältnissen betrachten. Die sehr föderalistische Schweiz gebe pro Kopf der Bevölkerung halb so viel aus wie Österreich - das sehr zentralistische England ebenso. Wenn man aber bedenke, dass Schweden bei fünffacher Fläche und 20 Prozent mehr Einwohnern mit nur 240 Gemeinden auskomme, dann sei klar, dass Österreich mit fast 2400 Gemeinden nicht billiger verwaltet werden kann.

Die Initiative will nicht nur ein Mehrheitswahlrecht - zumindest eine Vergabe möglichst vieler Mandate in Einer-Wahlkreisen -, sondern auch systematischen Austausch des politischen Personals. So soll der Bundeskanzler oder eine künftige Kanzlerin ähnlich dem Bundespräsidenten nur zwei Amtsperioden dienen können. Und Politiker sollten eher jung Verantwortung übernehmen, um dann entspannt zurücktreten zu können, schlägt Campbell (unterstützt von Neisser) vor: Nach einer Zeit in der Privatwirtschaft oder gar im Kunstbetrieb wäre eine Rückkehr in die politische Arena wünschenswert, weil so neue und alte Erfahrungen zusammenkämen. (Conrad Seidl, DER STANDARD, 1.10.2014)