Die stachellose Schlupfwespe Encarsia pergandiella ist sogar kleiner als die bekannt winzige Fruchtfliege. Sie ist ein Parasit und legt ihre Eier in die Schildlaus, was der Pflanzenschädling häufig nicht überlebt.

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Stephan Schmitz-Esser analysiert parasitäres Leben.

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Wien - Sie ist nicht einmal einen Millimeter groß und wiegt weniger als ein Tausendstel der schon recht winzigen Fruchtfliege. Ihre evolutionäre Strategie steht aber jener der anderen Insekten um nichts nach: Die Schlupfwespe der Gattung Encarsia pergandiella legt ihre Eier in der jungen Schildlaus ab, danach kann sich der Parasit im Parasiten bestens entfalten, was der Pflanzenschädling - die Schildlaus - meist nicht überlebt.

Die amerikanische Insektenforscherin Martha Hunter von der Universität von Arizona hat bereits 2001 entdeckt, dass in diesem Abhängigkeitsverhältnis noch ein dritter Parasit eine Rolle spielt - womöglich die alles Entscheidende: In der Schlupfwespe ist nämlich häufig das Bakterium Cardinium anzutreffen, das die Fortpflanzung seines Wirts massiv beeinflusst. Was sich durch einen einfachen Versuch zeigt: Paart man ein nicht infiziertes Weibchen mit einem infizierten Männchen, dann gibt es keinen Nachwuchs.

Die Fortpflanzung wird vom Bakterium verhindert, weil es nur über die Eizellen der Weibchen von Generation zu Generation weitergegeben werden kann. Im Sperma ist das Bakterium nicht zu finden. Experten sprechen dabei von "zytoplasmatischer Inkompatibilität".

Das Bakterium Cardinium, das in etwa sieben Prozent der Insekten, aber auch in Gliederfüßern vorkommt, braucht möglichst viele Weibchen in einer Schlupfwespenpopulation. Mehr als 90 Prozent sind keine Seltenheit, und wenn es zu wenige sein sollten, kann das Bakterium, zum Wohle der eigenen Vermehrung genetische Männchen zu funktionellen Weibchen umprogrammieren.

Diese Macht des Parasiten im Parasiten muss unter Evolutionsbiologen einen Wiedererkennungseffekt hervorrufen: Seit gut 30 bis 40 Jahren ist das Bakterium Wolbachia bekannt, das in drei Viertel aller Insekten, also in gut 40 Prozent aller auf dem Land lebenden Tiere, vorkommt - und haargenau die gleiche Strategie verfolgt. Die Frage ist: Haben die beiden Bakterien voneinander gelernt oder evolutionär unabhängig voneinander dieselbe Methode entwickelt? Eine Gruppe von Wissenschaftern der Uni Wien mit Matthias Horn und der Veterinärmedizinischen Universität Wien um Stephan Schmitz-Esser konnte vor genau zwei Jahren gemeinsam mit Martha Hunter und ihrem Team in Arizona nachweisen, dass Wolbachia und Cardinium in ihrer Entwicklung unabhängig voneinander sind. Dafür wurde das Erbgut beider Bakterien entschlüsselt. Die Publikation erschien damals im Fachmagazin PloS Genetics.

Doch damit konnten sich die Wissenschafter noch nicht zufriedengeben. Schmitz-Esser, der mittlerweile an die Veterinärmedizinische Universität Wien wechselte, sagt zum STANDARD: "Wir können beobachten, was in den Wespen passiert. Aber wie Cardinium das macht, wissen wir nicht." Schmitz-Esser will nun mehr über die molekularen Grundlagen der zytoplasmatischen Inkompatibilität erfahren und setzt die Forschungsarbeiten wieder in einem internationalen Projekt mit Martha Hunter fort - finanziert über den Wissenschaftsfonds FWF und die amerikanische National Science Foundation NSF.

Schwierige Forschungsarbeit

"Da die Wespen so klein sind, ist es sehr schwierig, sie zu beforschen", sagt Schmitz-Esser. Die Insektenkundlerin Hunter züchtete für die zwei Jahre zurückliegende Publikation Pflanzen im Labor, die den Schildläusen als Nahrungsquelle dienen. Diese wiederum sind Lebensgrundlage der Wespen, in denen Cardinium lebt. Es dauerte mehr als ein Jahr, um einige Bakterien zu gewinnen, deren Erbgut dann vervielfältigt wurde. Auch heute ist die Arbeitsteilung ähnlich. Hunters Gruppe kümmert sich um das biologische System, in Wien wird analysiert. Schmitz-Esser: "Wir werden die Gesamtheit aller RNA im Cardinium in männlichen und weiblichen Schlupfwespen dieser Art bestimmen, um genauere Einblicke in geschlechtsspezifische Steuerungsmechanismen des Bakteriums zu erhalten."

Die Ergebnisse wollen die Wissenschafter wieder mit bisherigen Analysen des Bakteriums Wolbachia vergleichen. "Zunächst wollen wir mehr über die Strategie des Parasiten im Parasiten erfahren." In einem weiteren Schritt kann sich Schmitz-Esser aber auch das Ausnützen von Cardinium für die Schädlingskontrolle vorstellen - nach dem Motto: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Schmitz-Esser: "Warum sollte das nicht möglich sein? Schildläuse gehören doch zu den größten Feinden der Landwirte."

Immun gegen das Virus

Mit Wolbachia haben Forscher schon entsprechende Erfolge erzielt: Das Bakterium schraubt das Immunsystem von Insekten derart in die Höhe, dass es anderen Eindringlingen in das biologische System keinen Platz zur Entfaltung lässt. Infizierte Mücken werden so zum Beispiel immun gegen das Denguevirus oder Malaria - und sollten damit auch keine Gefahr mehr für den Menschen darstellen. Cardinium kann aber nicht Teil einer Strategie gegen diese Krankheiten sein: Das Bakterium wurde zwar in einigen Mücken gefunden, nicht aber in solchen, die Malaria oder Dengue übertragen.

Generell sei man von der Anwendung des Bakteriums und der zytoplasmatischen Inkompatibilität zur Schädlingsbekämpfung noch weit entfernt, dämpft Schmitz-Esser verfrühte Hoffnungen. "Langfristig ist das natürlich die Idee." Dann könnte das dreifache parasitäre System für eine erfolgreichere Ernte sorgen. (Peter Illetschko, DER STANDARD, 1.10.2014)