Wien - Auch wenn manche Passagiere schon wieder festen Boden unter den Füßen spüren: Das weltweite Schuldenkarussell dreht sich munter weiter. Während die Welt noch mit den Folgen der aktuellen Schuldenkrise kämpft, könnte die nächste schon vor der Tür stehen. Das geht aus dem jährlichen Geneva Report hervor, der vom Centre for Economic Policy Research (CEPR) veröffentlicht wird. Die Autoren, darunter ehemalige leitende Ökonomen mehrerer Zentralbanken, konstatieren: "Die Welt hat noch immer nicht mit der Entschuldung begonnen."
Ganz im Gegenteil: Die globalen Verbindlichkeiten aller Haushalte, Unternehmen und Staaten sind auf einem Rekordhoch und nehmen weiter rasant zu. Zwischen 2008 und 2013 stieg der weltweite Verschuldungsgrad von 180 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung auf 215 Prozent an. Und das sind allein die Schulden von Staaten und Privathaushalten. Nicht eingerechnet sind die Verbindlichkeiten im Finanzsektor, weil hier für Schwellen- und Entwicklungsländer keine verlässlichen Daten vorliegen.
Waren vor Ausbruch der Finanzkrise noch die Industrienationen die treibende Kraft hinter der konstanten Kreditausdehnung, so sind es nun die Schwellenländer. Laut den Autoren könnten diese Regionen die Auslöser für die nächste globale Schuldenkrise sein. Zur Bedienung der steigenden Kreditlast braucht es ständig wachsende Profite. Läuft die Konjunktur nicht mehr rund, könnte das Kartenhaus zusammenbrechen.
Besonders stark war die Zunahme während der vergangenen Jahre in China. Während es in Europa die öffentlichen Haushalte sind, die für die größte Belastung sorgen, sind es dort die privaten. Schon jetzt schlägt sich die spürbar schwerer werdende Zinslast auf die Kaufkraft der Chinesen durch. Auch dort ließ das Wachstum seit dem Jahr 2008 deutlich nach - wenn auch auf einem wesentlich höheren Niveau.
Zumindest eingedämmt scheint indes das Problem der Privatverschuldung in den entwickelten Volkswirtschaften. Die Studienautoren heben hervor, dass die Verschuldung des Finanzsektors zurückging, besonders in den USA, aber auch bei den hochverschuldeten Banken in Großbritannien. Und auch bei den Unternehmen außerhalb des Finanzsektors stagniert die Verschuldung, nachdem sie bis zum Ausbruch der Krise durchwegs angestiegen war. Die Privathaushalte weisen seit 2010 überhaupt eine fallende Schuldenquote auf.
Global gesehen ist die Ausweitung der Schulden dadurch kaum eingebremst worden. Der Bericht warnt deshalb vor einer "giftigen Kombination" aus hoher und weiter steigender globaler Verschuldung und schwächelndem Wachstum. Es komme zu einem Teufelskreis: Der notwendige Schuldenabbau bremst den wirtschaftlichen Aufschwung, das geringe Wachstum wiederum erschwert den Schuldenabbau.
Warnung vor Zinsanhebung
Als wichtigstes Werkzeug zur Eindämmung der Schuldenberge wertet der Bericht die niedrigen Zinsen in den Industrienationen. Eine zu frühe Anhebung der Zinsen würde nicht nur das Wachstum abwürgen, sondern auch die Entschuldung erschweren.
Mehr noch, die EZB solle mit "den anderen wichtigen Zentralbanken gleichziehen" und noch mehr Staatsanleihen und Unternehmenspapiere in ihre Bilanz packen. Das Vorgehen in den USA und Großbritannien wird in Sachen Krisenbewältigung als Positivbeispiel hervorgehoben. Dort sei die Entschuldung der Unternehmen und des Finanzsektors eingeleitet und Kreditengpässe trotzdem verhindert worden. Jedoch wurde dafür die öffentliche Hand besonders stark belastet. Die Entschuldung der Staaten sei dementsprechend die zentrale Herausforderung für die Zukunft.
Mit ihrem Rat an die Zentralbanker, ihre Anleihenkäufe auszubauen, stehen die Ökonomen jedenfalls nicht allein da: Auch der IWF hat in der Vergangenheit mehrfach dazu aufgerufen. (Simon Moser, DER STANDARD, 1.10.2014)