Bild nicht mehr verfügbar.

Kurdische Flüchtlinge aus Syrien mit ihren Habseligkeiten nahe dem Grenzübergang im türkischen Dorf Mürsitpinar, das für die Kurden Teil der Stadt Kobanê ist.

Foto: REUTERS/Murad Sezer

Die Situation in Kobanê und dem Umland im Grenzgebiet zwischen Syrien und der Türkei.

Der Himmel ist weit und leer, kein amerikanischer Kampfjet, keine Raketen von der stärksten Militärmacht der Welt. Nur ab und zu klingt dumpf der Abschuss von Artilleriegeschoßen der Islamistenmiliz. "Vor ein paar Tagen haben die Amerikaner einen einzelnen Panzer der IS auf der Straße von Kobanê nach Aleppo getroffen. Es ist nur Show", sagt Hikmet. Sie stehen auf der Dachterrasse des letzten Hauses vor der Grenze, der beleibte Geschäftsmann Hikmet und ein halbes Dutzend Männer, vor ihnen abgeerntete Felder und Kobanê, die Kurdenstadt auf syrischer Seite, die von den Kämpfern des "Islamischen Staats" (IS) umzingelt ist und vor dem Fall steht.

Militärische Lage

Ein Feldstecher kreist, man fachsimpelt über die militärische Lage. Die IS-Kämpfer rücken in Halbmondform auf die Stadt zu, sagen sie. "Was ist so schwer daran, sie zu bombardieren?", sagt einer der Umstehenden, allesamt türkische Kurden, die Verwandte auf der anderen Seite haben, im Kriegsgebiet.

Kürzlich haben sie Mitglieder der Terrormiliz beobachtet, die auf den Feldern von einem Lastwagen Waffen umgeladen haben. "Wenn wir es sehen, dann können die Amerikaner das wohl auch", sagt Hikmet Ceylan. Er ist aus Izmir mit seinem Sohn gekommen, um in diesem freistehenden Bauernhaus, wenige Hundert Meter vor der syrischen Grenze, Wache zu halten. Links und rechts davon stehen die Panzer und Beobachtungsposten der türkischen Armee. Hinter ihnen liegt Suruç, die letzte türkische Stadt vor diesem Teil der Grenze.

70, 80 Kurden mögen an diesem Tag auf dem "Solidaritätsposten" sein, Frauen und Männer aus allen Teilen der Türkei. Nachts sind sie auch da, selbstverständlich, sagt Hikmet. Um Islamisten am Waffenschmuggel zu hindern und am Transport von Verletzten über die Grenze in die Türkei. Wie sie das machen wollen, ist nicht ganz klar. "Wenn wir nur Waffen hätten", sagt Hikmet und seufzt, "ich wäre der Erste ..."

Die "anderen Dinge"

Ein paar Kilometer weiter steht Selahattin Demirtas vor den Fernsehkameras am Straßenrand. Der Kurdenführer und Kandidat bei den Präsidentschaftswahlen vergangenen Sommer war gerade in Kobanê, zumindest einige Meter weit. Demirtas hat den Chef des selbstverwalteten Kantons getroffen, er ist aufgebracht. "Wir wollen keinen militärischen Kampf", sagt Demirtas an die Adresse der türkischen Regierung gerichtet. "Wir wollen keinen Bodeneinsatz. Wir wollen nur, dass sie nicht länger die Hilfe stoppen, die an die Kurden geht - Wasser, Brot, andere Dinge, wenn die Kurden es wollen", sagt der Politiker.

Jeder weiß, was die "anderen Dinge" sind: schwere Waffen und Munition. Beschafft von der offiziell weiter verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK in der Türkei oder eben von den USA und anderen Staaten im Westen. "Wenn die IS Kobanê erobert, dann wird die Türkei vielleicht nicht mehr in der Lage sein, die Islamisten zu stoppen", prophezeit Demirtas.

Parlament vor Abstimmung

In Ankara unterrichtet zur selben Zeit Armeechef Necdet Özel das Kabinett über die militärische Lage; das Parlament soll am Donnerstag über eine Vollmacht für einen Militäreinsatz in Syrien abstimmen. Wie genau der Auftrag an die Armee lauten wird, welche Rolle sie in der internationalen Koalition gegen die IS spielt, ist noch nicht bekannt.

Doch vor Ort kündigt sich die militärische Auseinandersetzung an. Soldaten sperren immer mehr Straßen ab, die zu den Dörfern an der Grenze führen. Selbst der Autokonvoi von Demirtas darf nur nach Verhandlungen durch die Absperrung in Mürsitpinar durch, dem Dorf, das die Kurden auf der türkischen Seite Kobanê nennen, weil es sowieso immer Teil der Stadt gewesen sei, die nun still liegt und auf die Schlacht wartet.

Kobanê also. Ein halbes Dutzend Minarette, 150.000 Einwohner. Die meisten sind weg, auf der Flucht vor der IS. Nur noch zwei Kilometer weit ist die Terrormiliz an diesem Tag vor der Stadt, so hat Demirtas von Enver Müslim erfahren, dem Kantonchef.

Krankenwagen von drüben

Ein Ambulanzwagen rast immer wieder aus dem Grenztor nach Kobanê über die Landstraße ins Spital nach Suruç. Ein Zeichen für die Kämpfe, die sich die syrischen Kurden mit den Islamisten liefern. Dennoch lassen die türkischen Polizisten ständig Bewohner von Kobanê zurück über die Grenze - ältere Ehepaare, die einen Einkauf in Suruç erledigt haben; junge Männer, die schnell einmal zu Fuß hinüberwollen. Mustafa ist einer von ihnen, ein 21 Jahre alter Fliesenleger mit einem freundlichen Gesicht. "Unser ganzes Hab und Gut ist drüben in Kobanê", sagt er. Seine Freunde tragen schwarze Bandanas. Es ist ein Gang in den Krieg. (Markus Bernath aus Suruç, DER STANDARD, 1.10.2014)