Viele haben vor einem "Zugcrash" gewarnt. Doch weder die konservative Regierung in Madrid noch die nationalistische Autonomieregierung in Katalonien wollten dies hören. Jetzt ist es so weit. In Katalonien wurde für den 9. November eine Volksabstimmung über die Unabhängigkeit der nordostspanischen, wirtschaftsstarken Region anberaumt. Madrid zog umgehend vors Verfassungsgericht und ließ das Vorhaben suspendieren.

Die Lage könnte verfahrener nicht sein. Denn an diesem Punkt angelangt, sind Verhandlungen für keine der beiden Seiten möglich, ohne das Gesicht zu verlieren. Ein Kompromiss ist undenkbar.

Der katalanische Ministerpräsident Artur Mas wird alles tun, damit seine Bürger abstimmen können. Da ein Referendum legal nun nicht möglich ist, spielt er mit dem Gedanken, Neuwahlen anzusetzen und diese zu einem Plebiszit zu machen. Ein breiter Sieg der Parteien, die für die Unabhängigkeit eintreten, hätte die gleichen Folgen wie die verhinderte Volksabstimmung, die nicht verbindlich gewesen wäre. Der Druck auf Madrid wird erhöht.

Die Zeit spielt für die Nationalisten. Mit jedem Winkelzug aus Madrid steigt die Zahl derer, die sich lossagen wollen. Je später über die Unabhängigkeit abgestimmt wird, desto größer die Chancen der Befürworter. Spaniens Premier Mariano Rajoy will oder kann das nicht sehen. Es steht zu befürchten, dass die Geschichte ihn belehren wird. (Reiner Wandler, DER STANDARD, 1.10.2014)