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Winteruniformen werden an ukrainische Soldaten verteilt.

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Gouverneur Taruta zum Gesetz, das den Regionen von Luhansk und Donezk einen Sonderstatus gewährt: "Keiner hat bisher die eigentliche Tragweite verstanden."

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Sergej Taruta, Gouverneur der Ostregion Donezk, gilt als einer der reichsten Männer der Ukraine. Er kritisiert die Mission der OSZE als ineffektiv und Präsident Petro Poroschenko wegen der Zugeständnisse an die prorussischen Separatisten.

STANDARD: Präsident Poroschenko sagte vor wenigen Tagen, die schlimmste Phase des Konfliktes in der Ostukraine sei vorbei. Wie beurteilen Sie die Lage?

Taruta: Ich wünschte, das Schlimmste wäre vorbei. Doch ich sehe jede Menge ungelöster Fragen. Der Konflikt dauert an, der Waffenstillstand wird nicht eingehalten, die Entmilitarisierung und die Waffenabgabe der Kämpfer sind nicht geregelt.

STANDARD: Wie gefährlich ist der brüchige Waffenstillstand?

Taruta: Es fehlt ein detaillierter Plan, wie der Konflikt deeskaliert werden soll. Leider sind die Minsker Vereinbarungen zu oberflächlich formuliert. Jede Seite interpretiert das Protokoll anders. Die Grenze zu Russland ist nach wie vor offen, unsere Seite kann nicht kontrollieren, was in den von Separatisten kontrollierten Gebieten auf das Territorium der Ukraine gebracht wird. Derzeit ist der Waffenstillstand nicht zu unseren Gunsten.

STANDARD: Kann die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) für die Einhaltung des Minsker Protokolls sorgen, oder braucht es andere Mechanismen?

Taruta: Die OSZE-Mission in ihrer jetzigen Form ist ineffektiv. Die Experten meiden die gefährlichen Bereiche, bleiben dort, wo die Lage einigermaßen ruhig ist. Keiner von ihnen ist an der Grenze - wie auch, es sind ja Zivilisten. Ich habe zudem das Gefühl, die OSZE vertritt nicht in erster Linie die Interessen der Ukraine.

STANDARD: Wieso akzeptiert die ukrainische Seite das?

Taruta: Ich vermute, Präsident Poroschenko hatte die Hoffnung, die Mission könnte etwas erreichen. Doch die OSZE erfüllt ihre Mission derzeit nicht. Ich plädiere für Verhandlungen im Genfer Format. Bereits im April hat es Gespräche gegeben, an denen auch die USA und die EU teilgenommen haben. Die Gespräche müssen öffentlich sein. Keiner hat etwas davon, wenn sich die Abgesandten von Präsident Putin mit Präsident Poroschenko hinter verschlossenen Türen treffen. Das führt zu noch mehr Misstrauen.

STANDARD: Sie haben die Vereinbarungen über einen Sonderstatus von Teilen der Regionen Luhansk und Donezk und eine Amnestie der Kämpfer scharf kritisiert. Was ist so gefährlich an dem am 16. September vom ukrainischen Parlament verabschiedeten Gesetz?

Taruta: Ich spreche auch heute noch von einem Schock. Das Gesetz, das einen Sonderstatus für weite Teile der Ostukraine vorsieht und Militanten Straffreiheit gewährt, ist äußerst negativ für die Ukraine. Keiner hat bisher die eigentliche Tragweite verstanden. Mit niemandem hatte Präsident Poroschenko den Gesetzentwurf abgesprochen, wir Gouverneure haben es genauso aus den Medien erfahren. Es ist unverständlich, wieso die Führung unseres Landes große Gebiete einfach an den Kreml abtreten will.

STANDARD: Wird das Gesetz geändert werden?

Taruta: Das Gesetz wird bereits geändert, laufend gibt es Meldungen dazu. Allerdings sind Regierung, Parlament und Regionalverwaltungen noch immer nicht eingebunden. Der Präsident kennt die Gefahr, doch er sieht derzeit offenbar keinen anderen Weg.

STANDARD: Die Regierung in Kiew will eine Mauer an der ukrainisch-russischen Grenze bauen, ist das ernst gemeint oder eine PR-Aktion?

Taruta: Das ist keine PR-Aktion, wir müssen unsere Grenzen zu Russland endlich gründlich schützen. Wir werden aber keine Mauer bauen. Auf rund 2000 Kilometern soll eine 100 Meter breite Sicherheitszone entstehen, mit Abwehrsystemen, Minenfeldern, Gräben und anderen Hindernissen. Baubeginn ist in den Regionen Tschernigiw und Charkiw.

STANDARD: Wer wird dafür aufkommen?

Taruta: Die Ukraine kann das nicht allein stemmen, es gibt Gespräche mit internationalen Partnern.

STANDARD: Hat der Westen bisher genug für die Ukraine getan?

Taruta: Bisher wurde vor allem viel geredet, derweil macht der Aggressor aus Moskau weiter. Das sehe ich als Zeichen dafür, dass der Westen nicht genug unternimmt, um Putin zu stoppen. (Nina Jeglinski, DER STANDARD, 1.10.2014)