Im neuen Profil stellt Herbert Lackner die Frage, ob "wir hysterisch gewesen sind" - nämlich vor etwa 15 Jahren, als der Weg zu einer schwarz-blauen Koalition von ÖVP und FPÖ begann. "Wir", das waren damals kritische Intellektuelle, Journalisten, Bürger, die dann an einem Februartag des Jahres 2000 etwa 200.000 Demonstranten auf dem Heldenplatz gegen die Schüssel-Haider-Koalition zustande brachten. Lackners Befund ist leicht überraschend: Der Faschismus sei damals nicht gekommen, die FPÖ habe sich hingegen als profund inkompetent und korrupt erwiesen. Daran sei letztlich die schwarz-blaue Koalition ziemlich kläglich gescheitert.

Einspruch. Es ging damals schlicht darum, dass ein solcher Geist, eine solche Partei nichts in einer Regierung verloren hat. Wir wollten nicht, dass die ohnehin fragile politische Kultur Österreichs massiv kontaminiert wird. Wir wollten nicht hinter zivilisierte Standards zurückfallen. Wir wollten nicht, dass Haiders NS-Nostalgie plötzlich "normal" oder gar Mainstream werden darf.

Wir übernahmen Verantwortung. Verantwortung dafür, dass die politische Kultur des Landes halbwegs clean bleibt. Dass die Versuchung des Autoritären, des Völkischen, des Inhumanen nicht wieder die Oberhand bekommt. Die ältere Generation hatte großteils geschwiegen, verdrängt. Wir wollten klar aussprechen, was wir nicht wollen.

Und das ist es, was wir heute von den Muslimen unter uns verlangen, verlangen dürfen. Sie müssen, vor allem die Jüngeren, Verantwortung übernehmen. Verantwortung dafür, dass der unmenschliche, antimenschliche Geist des radikalen Islamismus hier in Europa nicht verdrängt, bagatellisiert und verharmlost wird.

Wenn man anmerkt, dass die offiziellen muslimischen Verbände und die muslimische Zivilgesellschaft seltsam gedämpft gegen die Gräueltaten des "Islamischen Staates" protestiert, dann kommen zwei Reaktionen. Erstens: "Wir haben ohnehin eine Aussendung gemacht" und zweitens, schon wütender: "Was geht das uns an? Wir haben daran keine Schuld."

Natürlich nicht. Aber es ist auch von den Muslimen zu verlangen, dass sie sich vom giftigen Atem des Islamismus distanzieren. Es reicht schon, dass aus ihrer Mitte Dutzende in einen verrückten Jihad ziehen. Wahrscheinlich wird darüber in internen Zirkeln auch diskutiert. Aber das reicht nicht. Eine großangelegte, öffentliche Debatte mit klaren Aussagen ist fällig - so wie wir anno Waldheim und anno Haider den Nationalsozialismus und seine fatale Rolle in der österreichischen Gesellschaft diskutiert haben.

Es gibt innerislamische Kritiker - sehr wenige -, die dieses Schweigen der Muslime darauf zurückführen, dass die Gewalttätigkeit und totalitäre Weltanschauung der Islamisten doch etwas mit dem Islam selbst zu tun habe. Einer, Hamed Abdel-Samad, er tritt am Donnerstag in Wien auf, spricht sogar von "Islamo- Faschismus". Das muss wohl auch diskutiert werden, auf möglichst hohem Niveau. Für die aktuelle Situation ist es nicht entscheidend. Inhumanität kann man auch ohne theologische Grundsatzdebatte verurteilen. Nach einer Periode des Schweigens und des Verdrängens (und des offiziellen "Nie wieder") haben wir das Restgift des Nationalsozialismus in unserer Gesellschaft konfrontiert. Die Muslime müssen dasselbe mit dem Islamismus tun. (Hans Rauscher, DER STANDARD, 1.10.2014)