Bettina Baders Augenmerk liegt auf Objekten, die früher unbeachtet blieben: Keramiken wie hier im Totentempel Thutmosis III. helfen bei der Überarbeitung von Chronologien.

Foto: Thutmosis III Temple Project / Campuzano

Bettina Bader ist Start-Preis-Trägerin 2014.

Foto: privat

Wien - Der Nahe Osten als Spannungsfeld lokaler Mächte und Kulturen ist eines der am meisten beackerten Gebiete der medialen Berichterstattung. Doch schon vor mehr als dreieinhalb Jahrtausenden, lange vor der Erfindung der monotheistischen Religionen, war das Grenzgebiet zwischen Afrika und Asien Konfliktzone und Schauplatz regen kulturellen Austauschs.

Die Erforschung einer der unübersichtlichsten Phasen dieser Beziehungsgeschichte hat sich Bettina Bader zur Aufgabe am Institut für Orientalische und Europäische Archäologie an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) gemacht. Ihr Projekt "Jenseits der Politik: Materielle Kultur in Ägypten und Nubien der Zweiten Zwischenzeit" gehört zu den mit dem Start-Preis 2014 ausgezeichneten Forschungsvorhaben. Dafür gibt es vom Wissenschaftsministerium und vom Wissenschaftsfonds (FWF) 1,2 Millionen Euro für eine Laufzeit von sechs Jahren.

Die Zweite Zwischenzeit von zirka 1750 bis 1550 vor unserer Zeitrechnung bezeichnet in der Geschichte des Alten Ägypten die Übergangsperiode zwischen Mittlerem und Neuem Reich, in denen der Staat am Nil jeweils kulturelle Blüten erlebte. Diese Zwischenphase, die sich über zwei Jahrhunderte und fünf teilweise parallel regierende Dynastien erstreckte, ist von politischer Instabilität gekennzeichnet.

Rund achtzig verschiedene Namen von Herrschern sind der Forschung bekannt, den meisten davon dürften nur kurze Regierungszeiten beschieden gewesen sein. Die Datierungen und die Verbindungen zwischen den Dynastien sind jedoch höchst unsicher. Im Nildelta im Norden des Landes herrschten die Hyksos, die von Einwanderern aus den Gebieten des heutigen Israel, Libanon und Syrien abstammten. Deren Name leitet sich von der altägyptischen Bezeichnung "Heka-chasut" ("Herrscher der Fremdländer") ab.

Antike Kulturkontakte ...

Die Einwanderer brachten den Ägyptern kulturelle Neuerungen, unter anderem kamen neuartige Waffen wie das Sichelschwert und auch Pferd und Wagen mit ihnen ins Land. Diese Veränderungen lassen sich auch durch den Einzug entsprechender Lehnwörter in die ägyptische Sprache festmachen, die vermutlich ältesten Pferdeskelette Ägyptens stammen überdies aus Auaris, der Hauptstadt der Hyksos.

Diese Stadt im östlichen Nildelta wird seit Mitte der Sechzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts vom Österreichischen Archäologischen Institut untersucht, seit vielen Jahren ist auch Bader unter anderem in Auaris tätig. Im Rahmen ihres Projekts will sie nun die Trends zur Regionalisierung während dieser Epoche erforschen und damit Fragen zu lokal aufgesplitterten Herrschaftsgebieten beantworten.

Zu diesem Zweck sollen verschiedenste archäologische Quellen erschlossen werden, vor allem Gebrauchsgegenstände wie Keramik, Werkzeuge, Metallobjekte und andere Fundstücke wie Skarabäen und Stelen.

Projektziel ist die Schaffung eines stimmigen Netzwerks aus lokalen relativen Chronologien. Hierzu müssen zahlreiche Fundplätze in Ägypten und Nubien nach stratigrafischen Gesichtspunkten untersucht und die entstehenden regionalen Zeitabfolgen gegeneinander abgeglichen werden, um ein Gesamtbild zu erhalten. Auch Befunde vergangener Grabungsexpeditionen sollen ebenso wie die Bestände verschiedener Sammlungen in die Ergebnisse einbezogen werden.

Für eine möglichste umfangreiche und breite Streuung der erhobenen Daten sind Kooperationen mit zahlreichen internationalen Universitäten und Museen geplant, neben ägyptischen Instituten unter anderem Einrichtungen in London, Cambridge, Madrid, Chicago und Berlin. Auf nationaler Ebene sind neben der Österreichischen Akademie der Wissenschaften auch das Kunsthistorische Museum, das Österreichische Archäologische Institut und das Institut für Ägyptologie der Uni Wien eingebunden.

Die Hauptquelle für die Untersuchungen bilden Tonscherben diverser Keramikprodukte, allein schon wegen ihres häufigen Auftretens. Diese werden auf regionale stilistische Unterschiede und andere Aspekte wie Herkunft und Zusammensetzung des verwendeten Materials geprüft. Im Unterschied zu modernen Forschungsgrabungen bieten die Unterlagen derartiger Prüfungen älteren Datums meist ein anderes, unvollständigeres Bild, da damals die Daten weitaus weniger detailliert erhoben wurden und auf Tonscherben und zerbrochene Gegenstände im Regelfall keine Rücksicht genommen wurde - das Interesse galt früher meist vor allem der Bergung von intakten Objekten für Museumssammlungen. Da viele Fundorte heute zerstört oder nicht mehr zugänglich sind, gibt es dazu keine Alternative.

Aus diesen Voraussetzungen erschließt sich, dass der budgetäre Hauptteil für Personal- und Reisekosten aufgewendet werden muss, sei es, um Grabungen vor Ort in Ägypten und im Sudan, oder aber auch solche in musealen Archiven, die zum Teil ergiebiger zu sein versprechen, durchführen zu können. Die strengen Bestimmungen der ägyptischen Altertümerbehörde bezüglich Ausfuhr und Handhabung von archäologischen Funden erleichtern bei einem derart umfangreichen Vorhaben die Arbeit der Forscherin tendenziell nicht, da technisch-naturwissenschaftliche Untersuchungen damit ausschließlich in Ägypten durchgeführt werden können.

... kriminalistisch untersucht

Besonderes Augenmerk legt Bader auf gesellschaftliche Identitäten der Bevölkerung wie auch auf ethnische Aspekte sowie kulturelle Verknüpfungen zwischen den ägyptischen Regionen und den benachbarten Gebieten in Syrien im Norden beziehungsweise Nubien im Süden. Schon in ihrem derzeit noch laufenden FWF-Projekt bearbeitet sie Fragen kultureller Interaktionen von ausländischen Siedlern mit der einheimischen ägyptischen Bevölkerung.

Die wissenschaftliche Aufarbeitung der archäologischen Befunde gleicht in weiten Teilen jedenfalls der kriminalistischen Arbeit eines Forensikers. Dazu passt ein Motto, das Bader im Zusammenhang mit ihrer Arbeit nennt: "Es ist ein kapitaler Fehler zu theoretisieren, ehe man Daten hat. Unvernünftigerweise verdreht man dann die Fakten, damit sie zu den Theorien passen, anstatt seine Theorien den Fakten anzupassen."

Dieses Zitat stammt von Sherlock Holmes aus der Erzählung Ein Skandal in Böhmen von Arthur Conan Doyle. Ein Vorbild an detektivischer Kleinarbeit. (Michael Vosatka, DER STANDARD, 1.10.2014)